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Kurzarbeit Null in Kuba

Castros Revolution entläßt ihre Arbeiter: In Kuba geht das Gespenst der Erwerbslosigkeit um  ■ Von Bert Hoffmann

Berlin (taz) – Jetzt ist es amtlich: 500.000 Kubaner, erklärte jüngst Finanzminister José Luis Rodriguez seinem Volk, werden unweigerlich ihre Arbeit verlieren. Wo Kubas Staatschef Castro noch vor drei Jahren Arbeitslosigkeit als „brutale Verletzung der Menschenrechte“ geißelte, die es auf seiner Insel dank des Sozialismus nicht gäbe, fällt nun ein weiteres Tabu. Dabei ist die Schätzung des Finanzministers noch vorsichtig. Wirtschaftswissenschaftler in Havanna beziffern die Zahl der drohenden Entlassungen auf mindestens doppelt so hoch: eine Million bis sogar anderthalb Millionen, ein Drittel der kubanischen Erwerbsbevölkerung.

Das Problem ist nicht neu, nur aufgeschoben. Denn Arbeit haben schon längst nicht mehr alle, die auf der Lohnliste stehen. Die Auslastung der kubanischen Industrie lag 1994 – nach offiziellen Zahlen – bei gerade noch 15 Prozent. Zum Beispiel das riesige Textilkombinat in Santiago de Cuba, das nicht weniger als 60.000 Angestellte beschäftigt. Seit die Baumwollieferungen aus den Nachfolgerepubliken der ehemaligen Sowjetunion ausbleiben, ist die Produktion eingebrochen. Für andere Rohstoffimporte fehlen die Devisen – und die Absatzmärkte für die fertigen Produkte. Ab und zu kommen noch Lieferungen, so daß etwas gearbeitet werden kann. Aber dann verläßt wieder monatelang kein Hemd und keine Hose den Betrieb. Kurzarbeit Null auf kubanisch. Entlassen worden war deswegen niemand. Das Kombinat zahlte die Löhne, die Nationalbank druckte unverdrossen Pesos. Mit der Folge, daß der Wert der kubanischen Währung ins Bodenlose stürzte.

Das hat sich geändert. Mitte letzten Jahres, als der Monatslohn eines Textilarbeiters, schwarz getauscht, gerade zwei US-Dollar wert war, zog die Regierung die Notbremse. Ein hartes Sparprogramm wurde aufgelegt, um von der kubanischen Währung zu retten, was noch zu retten war. Preise wurden erhöht, die Notenpresse gestoppt. In nur einem halben Jahr kürzte man das Staatshaushaltsdefizit um satte 72 Prozent: von fünf Milliarden Pesos 1993 auf 1,4 Milliarden Pesos 1994.

Diese Roßkur hat tatsächlich Erfolge gezeitigt. Der kubanische Peso gewann erstmals wieder gegenüber dem US-Dollar an Wert. Mußten auf dem Schwarzmarkt vor einem Jahr bis zu 150 Pesos für einen Dollar gezahlt werden, hält sich der Kurs nun schon seit Monaten zwischen 40 und 60 Pesos. Doch für die defizitären Betriebe versiegt mit dem Sanierungsprogramm das Füllhorn der staatlichen Subventionen. Viele Unternehmen werden ganz schließen müssen. Auch wenn es überlebt, kann das Textilkombinat in Santiago auf Dauer nur noch das an Löhnen zahlen, was es durch Verkäufe einnimmt. Daß dies für mehr als zehn oder zwanzig Prozent der bisher 60.000 Arbeiter reichen wird, glauben nicht mal Optimisten.

Das Gespenst der Arbeitslosigkeit geht um in Kuba, aber es verbreitet weniger Schrecken, als man zunächst denken mag. Es ist bemerkenswert, daß trotz allem die Stimmung in der kubanischen Bevölkerung spürbar entspannter ist als noch vor einem halben Jahr. Vor allem das Problem Nummer eins, die so kritisch gewordene Versorgung mit Lebensmitteln, hat sich durch die Bauernmärkte merklich verbessert (siehe nebenstehenden Kasten).

Schon seit geraumer Zeit leben die meisten Kubaner weniger von ihrem monatlichen Arbeitslohn als von dem, was sie sonst so organisieren können. Und was anfangs ein vorübergehender Notbehelf schien, wird immer mehr akzeptierte Normalität: Nicht mehr der Staat gibt Lohn und Brot, sondern jede Familie muß selber sehen, wie sie über die Runden kommt.

Die – legalen – Möglichkeiten dazu sind allerdings noch immer sehr begrenzt. Seit anderthalb Jahren gibt es eine Liste von einfachen Berufen zur „Arbeit auf eigene Rechnung“. Doch im ganzen Land haben sich bis heute gerade 200.000 „Selbständige“ als Klempner, Reifenflicker oder ähnliches registrieren lassen.

Der übergroße Rest bewegt sich noch immer in einer diffusen, im Grunde illegalen, aber in der Praxis vielfach tolerierten Grauzone. Die massiven Entlassungen in den Staatsbetrieben drängen nun allerdings mit Macht auf die Ausweitung und weitere Legalisierung dieses informellen Sektors von Kleinhandel und improvisiertem Minigewerbe.

Seit die Wiederzulassung der Bauernmärkte Hoffnungen auf einen neuen Reformschub weckte, sind viele Schritte diskutiert und erwartet worden. Doch lediglich die Öffnung des sozialistischen Kuba für ausländisches Kapital kommt zügig voran; offizielle Stellen verhökern bereits Immobilien an devisenkräftige Ausländer. Und ab Juni dieses Jahres wird ein neues Joint-venture-Gesetz auch kapitalistische Investitionen mit hoher Gewinnerwartung für normal erklären.

Bei dem Gedanken an einen unabhängigen, nicht von der Kommunistischen Partei kontrollierten Wirtschaftsbereich innerhalb der kubanischen Gesellschaft sträuben sich allerdings noch immer bei vielen Parteikadern die Nackenhaare. Nach zwei Schritten vorwärts geht's hier auch immer wieder einen zurück.

Allenthalben erwartet worden war etwa die Legalisierung jener Garküchen und Kleinrestaurants, die in den Hinterhöfen von Havanna und anderen Städten der Insel zu Hunderten aus dem Boden geschossen sind. Sogar ein Minister hatte dies bereits öffentlich in Aussicht gestellt. Doch politische Bedenken behielten überhand: Fürs erste ist das Thema wieder auf Eis gelegt.

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