piwik no script img

Raider heißt jetzt Twix

Der Anglist Dietrich Schwanitz hat einen Kolportageroman über „political correctness“ an der Uni geschrieben: „Der Campus“  ■ Von Stephan Wackwitz

Der Name der Rose“, Erfolgsroman des Semiotikprofessors Umberto Eco, ist dem Bekenntnis des Autors zufolge erwachsen aus dessen „Drang, einen Mönch zu vergiften“. Wenn an der sich aufdrängenden These, Professoren sublimierten asoziale Triebwünsche durch das Beistellen dicker Romane in ihrer Freizeit, etwas dran ist, dann zeigt sich der Hamburger Anglist und Systemtheoretiker Dietrich Schwanitz mit „Der Campus“ getrieben von dem Drang, in seinem Büro mit einer Examenskandidatin zu schlafen.

Dies tut jedenfalls sein Held, ein glamouröser Hamburger Professor für Kultursoziologie namens Hanno Hackmann. Und macht sich damit erpreßbar. Der Kultursenator, der Universitätspräsident, die Frauenbeauftragte, ein ehrgeizig-erfolgloser Professorenkollege und allerlei feministisch ideologisiertes studentisches Fußvolk betreiben nun den Rest des Romans lang aus egoistischen Gründen die Demontage des großen Professors. Kurz: eine Hochschulkabale, ein campus novel, mäßig spannend und von jener stilistischen Haltung beseelt, die man wohl als „flotte Schreibe“ bezeichnet. Schwanitz überträgt eine Gattung, die in Großbritannien durch C. P. Snow und David Lodge kanonisiert worden ist, ins Hamburger Provinzmilieu. Warum auch nicht. Es gibt ja auch Entwicklungsromane, die in Afrika spielen, japanische Problemstücke, französische Haikus.

Verzeihlich wäre auch, daß sich dem Autor die Fahrgäste einer Hamburger U-Bahn folgendermaßen darstellen: „Um sie herum drängten sich die Verdammten der städtischen Vorhölle. Im Ecksitz war eine Schnapsleiche in sich zusammengesunken. Ihr gegenüber saß lallend ein Irrer, dessen unnatürlich helle Augen in blödem Glanz flimmerten, während aus seinem Munde der Speichel troff und in einem elastischen, mal länger, mal kürzer werdenden Gummifaden im Rhythmus der U-Bahn an seinem Kinn pendelte. Neben ihm goß sich ein junger Asozialer eine Dose Bier in den unrasierten Schlund.“ Und so weiter. Schwanitz füllt ganze Seiten mit derlei Geschimpfe darüber, wie es in der Hamburger U-Bahn und anderen Orten angeblich aussieht. Jeder, der öffentliche Verkehrsmittel benutzt, weiß freilich, daß es sich hier um kulturpessimistische Wahnvorstellungen handelt, wie sie Christa Meves, Gertrud Höhler und neuerdings auch Hans Magnus Enzensberger gern glaubhaft zu machen versuchen.

Ganz schwierig wird es dann allerdings mit folgendem: „Bernie blickte auf und sah, wie sich durch die geöffnete Tür langsam ein gekrümmter weiblicher Rücken schob. Er gehörte der Traktoristin. Sie wurde so genannt, weil sie so entschlossen dreinblickte wie eine sowjetische Heldin der Arbeit. Aber ihr Kartoffelgesicht mit dem verkniffenen Mund ...“ Derlei liest man nun wirklich nicht gern. So was macht man einfach nicht. In demokratisch verfaßten Massengesellschaften nämlich fallen ästhetisch-sozialkritische Argumente unweigerlich auf ihre Urheber zurück. Sehen Sie sich mal das Foto von Schwanitz in einer der letzten Nummern des Stern an ...

Aber vollends aufbringen wird Schwanitz den informierteren Leser dann durch die Tatsache, daß sowohl die Handlung wie auch das meiste Personal in „Der Campus“ weitgehend aus Tom Wolfes Meisterwerk „The Bonfire of The Vanities“ abgekupfert ist.

Das reine, ruhmlose Plagiat

Und das so humorlos und uncharmant, daß Schwanitz nicht einmal ein kleines Augenzwinkern anbringt, irgendeine verborgene Hommage an sein großes Vorbild.

Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht um ein geplantes, gar hintertriebenes Spiel mit der Fiktion des geistigen Eigentums. Mit auch nur der Andeutung eines solchen Spiels hätte Schwanitz seine parasitäre Arbeitsweise elegant dekonstruktivistisch begründen und retten können. Aber nichts. Das reine, ruhmlose Plagiat.

Hanno Hackmann ist Sherman McCoy. Sogar den subtilen Mitleidsaffekt, der sich im Leser dem eleganten und instinktiv beneideten Fiesling gegenüber aufbaut, und den rührenden Zug, daß der skrupellose Erfolgsmensch seine Tochter (hier „Sarah“, bei Wolfe „Campbell“) wirklich liebt und seine Rehabilitierung um ihretwillen betreibt, hat Schwanitz abgeschrieben. Bernie Weskamp, der ehrgeizige Vorsitzende des Disziplinarausschusses und Jäger des Schwanitzschen Professors, heißt bei Wolfe Larry Kramer. Wolfes unsterbliche Figur Reverend Bacon („See ...“) äfft Schwanitz mit seinem blassen Leiter des Arbeitsbereiches „Deutsch als Fremdsprache“, Heribert Kurtz, nach (was ja als Conrad-Zitat, für sich genommen, gar nicht unwitzig gewesen wäre). Babsi ist Maria. July ist Gabrielle. Peter Fallow ist Martin Sommer. Raider heißt jetzt Twix.

„Der Campus“ enthält noch ein weiteres Ärgernis. Schwanitz nämlich hat eine Botschaft. „Dreht sich der Wind in diesem Land?“ hat er den Stern neulich rhetorisch gefragt, als ihn der Reporter fragte, wie er sich den Erfolg seines Buch erkläre. Schwanitz' Botschaft: „Political correctness“ habe sich in den deutschen Hochschulen und politischen Apparaten ausgebreitet wie ein Krebsgeschwür. „Sie haben aus der Universität ein Massengrab der Worte gemacht“, sagt eine Figur, die unverkennbar als Sprachrohr des Autors fungiert. „Ich habe genug davon. Ich habe gesehen, wie meine Seminare zu Versammlungen kaugummikauender, zotteliger, stammelnder Höhlenbewohner wurden. Ich habe in Ausschüssen gesessen, wo ich mich von analphabetischen Rüpeln anpöbeln lassen mußte, gegen die King Kong ein verfeinerter Höfling war ... offen zu verkünden, daß Neandertaler wie Sie nicht auf die Universität gehören ... Hilfsbüttel der Gesinnungspolizei ... Recht verwirkt ...“ (Wir blenden langsam aus).

Wahnvorstellungen von der Art der Schwanitzschen: Die Universität sei in den Fängen machtgieriger Frauenbeauftragter, analphabetischer Rüpel, finsterer linker Karrieristen, anarchistischer Mafiosi, politisch korrekter, aber unattraktiver Studentinnen – solche Zwangsgedanken gehören ins symptomatische Bild gewisser paranoider Grübeleien, die einen in schlaflosen Nächten heimsuchen. Unbehandelt schlagen sie sich in jener gesellschaftskritischen Fantasy-Literatur nieder, die der Taxifahrer verbatim, der Anglistikprofessor in Form dicker Romane von sich gibt. Hervorgetreten ist dieser Typus des Gesellschaftskritikers in den letzten Jahren vorzugsweise auf der linken Seite des politischen Spektrums: als Prophet des ökologischen Generalverdachts, als Ankläger des Schweinesystems. Nun scheint sich die Rechte die Höhen der Gesellschaftskritik zurückerobert zu haben. Geben wir Schwanitz' Helden Hanno Hackmann das Wort, mit seinem ganz offensichtlich auch vom Autor schrecklich ernstgemeinten Schlußplädoyer vor dem Untersuchungsausschuß: „Die Universität, die es mal gab, war der Wahrheit verpflichtet. Sie war die Institution, die im großen Getöse gesellschaftlicher Interessen und Strebungen die Wahrheit darstellen sollte. Was davon übriggeblieben ist, können Sie an mir sehen. Ja, sehen Sie mich an: Dann sehen Sie, was aus der Universität geworden ist: ein Trümmerhaufen, eine Ruine, ein Wrack, aus dessen weiterer Demontage sich jeder bedient, der Lust dazu hat.“ Schöner, finde ich, hätte es auch Hans Sedlmayr nicht sagen können, so vielleicht um 1956.

Dietrich Schwanitz: „Der Campus“. Roman. Eichborn Verlag, 382 Seiten, geb., 38 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen