piwik no script img

Durchs Kondom kann keiner sehen

Von der Büffetkraft einer Bohnensalatbar auf einer Autobahnraststätte in der Poebene verlassen – Schicksal des Helden aus dem neuen Buch von Herbert Achternbusch über Liebe, Leben, Kunst und Buddhismus  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Herbert Achternbuschs Produktivität ist fast beängstigend. In den letzten 25 Jahren drehte er 27 Filme, schrieb ungefähr fünfzehn Bücher und etliche Theaterstücke, seit zehn Jahren malt er auch wieder. Tag für Tag. In seinen Filmen wie in seinen Texten hat er sich immer der geschlossenen Form, den zu Ende erzählten Geschichten, dem Sinn verweigert. „Jede Form ist abnorm“, heißt es irgendwo in „Die Olympiasiegerin“ und „Verflucht mit mir die normalen Wünsche!“ Eines seiner Bücher widmete er „einer roten Damenunterhose. Ausziehen, denn das Werden kennt keine Sicherheit!“

„Der Einfall, der wortwörtlich hervorstürzt, ist doch der Garant für Literatur“, schreibt er in „Hundstage“, seinem neuesten Buch. „Alles andere ist doch nur eine Behauptung, die den Leser über das wesentliche Manko hinwegtäuschen soll. Und zwar über das des Lesers wie das des Lesers, nur darum funktioniert es. Was das sei? Die Lebendigkeit.“

Mit Selbsttherapie haben Achternbuschs Monologe nicht allzuviel zu tun, geht es doch weder um die Rekonstruktion noch um den Aufbau einer funktionstüchtigen Persönlichkeit, noch um die Befreiung von irgendwelchen Neurosen: „Mögen sich andere Künstler durch das Schreiben befreien. Ich kann mir nur Luft verschaffen.“

Statt von männlicher Form und Bedeutung handeln seine Bücher vom Werden, an die Stelle des Sinns treten die Sinne. Das Ich, das da seit ungefähr dreißig Jahren an einem Monolog schreibt, der mal unglaublich intensiv und spannungsgeladen ist wie die 1971 erschienene „Alexanderschlacht“, mal eher entspannt wie jetzt die „Hundstage“, ist nicht eins.

Ich, das ist ein Haufen Neurotiker

Es vervielfältigt sich. Und die Vielzahl der Ichs bedrängen das Autorenkollektiv, das sich schreibend wehrt: „Zu einem Haufen Neurotiker bin ich geworden, die ich umzingelt und gefangengenommen habe“, heißt es in „Mix Wix“ (1990). Oder: „Ja so war das Schreiben. War? Diese Unruhe und Niedergedrücktheit bis es schneit. Wenn ich schreibe, schneit es plus Kinderschreie.“ oder: „Ich gehe gerne gebückt und flüstere der Angst manchmal zu, bitte nicht so laut zu sein.“

Das „Ich“, das in Achternbuschs Büchern spricht, ist ein anderes. (Wobei es unwichtig ist, ob man es mit dem „realen“ Dichter identifiziert, auch wenn das Erzähler-Ich am gleichen Ort wohnt wie der Dichter und die gleiche Telefonnummer hat.) Es ist eines, das daran leidet, von anderen und anderem getrennt zu sein. Vielleicht ist es auch nichts anderes als eine Ortsangabe: Hier tut's weh.

Das literarische Ich (die Theaterstücke und auch die Filme funktionieren anders) schwankt zwischen zwei Extremen, die sich vielleicht nicht einmal ausschließen: dem Wunsch zu verschwinden, zur „Schneeflocke“ zu werden, wie in den „Hundstagen“, oder geboren zu werden: „Ich bin da. Ich bin da.“

„Hundstage“ ist alles mögliche: eine Liebesgeschichte, der assoziationsreiche Monolog eines Verlassenen über Liebe, Leben und Kunst, über Buddhismus, Angstträume und eine trostlose Nachkriegskindheit; ein politisches Pamphlet, eine Poetologie, ein wunderschönes Künstlerbuch mit 32 Tuschezeichnungen; eine Sammlung großartiger Wörter („Einheitssoßenwürfelsoßendüfte“), Sätze und Gedichte.

Das Schamhaar meiner Freundin

Der Ich-Erzähler, ein alternder Textilhändler, Zeichner und Schriftsteller, wird von seiner jungen Freundin Paula, Büffetkraft in einer Bohnensalatbar, auf einer Autobahnraststätte in der Poebene verlassen. Er ist über fünfzig, sie knapp zwanzig. Kondome nahm er mit auf die Reise, doch die kamen nie zum Einsatz. Deshalb onaniert er des Nachts auf Paulas Unterhose und wäscht sie hernach. „Onanier im Bad nicht wieder auf meine Unterhose, sagte sie in Bologna.“ Sie ist eine „Sexpizza“, die sich ständig mit Altersgenossen vergnügt und sich aushalten läßt, eine „Prinzessin“, die sich seinem Begehren meist verweigert. Nur selten will sie mit ihm schlafen, da soll er dann funktionieren. Manchmal ist das seltsam komisch: „Was bin ich so eifersüchtig, als sei mein Schwanz blind und die anderen Schwänze hätten Facettenaugen, um Paulas feuchtes Rosen-Inneres rundum zu studieren und zu bestaunen. (...) Aber durch das Kondom kann doch keiner sehen.“

Immer weiter entfernt sich der Schreibfluß von der Geliebten, um in Kindheitslandschaften zu landen. Zwischen Nachkriegsnazis stellt er sich vor, ein Judenjunge zu sein. Ständig liegt ein toter Hund auf der Straße, gelbe Blusen tauchen alle naselang auf.

„Hundstage“ ist ein Buch über die Liebe, über den Geruch und den Körper und den Schoß der Geliebten, über die Poebene, die immer beides ist – Körper und Landschaft –, über den eigenen Körper, der zu fest ist in einer Welt, in der die Männer „Panik“ und die Frauen „Angst“ sind, in der „die Männer der Erwachsenen das Maß aller Dinge sind“; über Landschaften, die sich sanft mit dem verbinden, der sie besucht: „Einen jeden Herbst fuhr ich wieder hin (...), um in dem feinen Dunst der westlichen Poebene (...) zu verschwinden. Mein Blut ist dann nicht mehr rot und klebrig, nein, nur eine Spur von Rosenduft ist dann mein Blut. Mein Herz ist dann nicht mehr hart und pochend, hager und leer. Nein, es ist nur noch die blaue Spur auf einer Glasscherbe, der gar nichts mehr weh tun kann. Meine Gedanken sind dann eine verlorene kleine Vogelfeder.“

Wie soll man es sagen, ohne daß es blöde klingt? Es ist sehr angenehm, in diesem Buch zu lesen. Gerade, wenn die ganze Welt dabei ist, einem auf den Kopf zu fallen, liebt man einzelne Sätze von Helden, die „mit einem Schamhaar in der Hand“ durch die Gegend laufen und auf allen Straßen flüstern: „Da schau her, das Schamhaar meiner Freundin – ist es nicht schön?“

Herbert Achternbusch: „Hundstage“. S. Fischer Verlag, 230 Seiten, geb., 48 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen