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Buddhismus mit Sorgenfalten

Gut sortiertes Angebot: „Kiosk“, der neue Gedichtband von Hans Magnus Enzensberger. Eine Eloge  ■ Von Wiglaf Droste

Eskapismus, ruft Ihr mir zu,/ vorwurfsvoll./ Was denn sonst, antworte ich,/ und erhebe mich in die Lüfte./ Von euch aus gesehen,/ werde ich immer kleiner und kleiner,/ bis ich verschwunden bin./ Ich hinterlasse nichts weiter/ als eine Legende/ mit der ihr Neidhammel,/ wenn es draußen stürmt,/ euren Kindern in den Ohren liegt,/ damit sie euch nicht davonfliegen.“

Hui, war das schön, 1980. Der Fliegende Robert, aus der Gedichtsammlung „Die Furie des Verschwindens“, als Enzensberger seinen sauertöpfischen Kritikern lächelnd zuwinkte, ihnen quasi den Stinkefinger zeigte bzw. ihnen ein gutgelauntes „Arsch lecken!“, wenn auch natürlich feiner formuliert, zurief. „Widerstandslos, im großen und ganzen,/ haben sie sich selbst verschluckt,/ die siebziger Jahre“, schrieb er in seinem „Andenken“, während seine linke Leserschaft noch immer in eben diesen Siebzigern verhangen war und sich entsprechend empörte über den Freigeist Enzensberger, der, ohne um Erlaubnis zu fragen, den Deubel gab auf die internen Streitereien von K-Gruppen und was sonst noch die WGs bewegte. Sektierer und Fundamentalisten aller Couleur stieß Enzensberger vor den Kopf und sah unverschämterweise auch noch gut aus dabei, lässig, elegant. Und wie Neil Young seiner noch immer bekifft am Lagerfeuer schunkelnden Klientel die Hymne auf Punk und Johnny Rotten um die Ohren bretterte, als die nicht einmal ahnte, was sie gerade wieder verpaßt hatte, fand Enzensberger schon 1980 gleichermaßen kokett wie treffsicher die passenden Worte für die kommenden 80er Jahre: „Alles verkehrt,/ vermutlich auch dieser Satz.“

Reichlich später gab ein Teil seiner Klientel ihm dann nachträglich recht – der Rest schmollte noch immer, war beleidigt und nahm übel –, aber da war er, Enzensberger, schon wieder ganz woanders unterwegs, halt immer den entscheidenden Dreh schneller, immer einen Tick weiter. Und das ist sein ganz großes Verdienst: die Klugheit, sich zu entziehen, wann immer ihn einer vor seinen Karren spannen wollte, die neugierige Beweglichkeit, gepaart mit einer fröhlichen Arroganz gegenüber den Statthaltern, Platzhirschen und dummstolzen Besitzern gußeiserner Meinungen. Und wie gut Enzensberger ist in der Kunst des bewußtseinserweiternden Verrats, sieht man schon an den Flaschen, die kläglich versuchen, ihn nachzuäffen und dabei so schrecklich alt aussehen, weil sie Verrat mit Opportunismus verwechseln und es ihnen schlicht an Substanz gebricht: Claus Leggewie, der Sascha Hehn der Soziologie, Peter Schneider, der Fürst der Plattitüde, Martin Walser, der Schön- und Bauchredner gemeingefährlicher Nationalfetischisten und Cora Stephan, die Ikone der Seichtigkeit des Seins z. B. Figuren allesamt, die ihr persönliches Fortkommen stets als Fortschritt der Menschheitsgeschichte deklarieren und die jede berechtigte Kritik an dem, was sie von sich geben, als inquisitorischen Terror denunzieren.

Nein, mit diesen Aftermietern hat Hans Magnus Enzensberger, bei allen Schwächen, die er als Essayist zeigt, nichts zu schaffen. Und als Lyriker ist er ohnehin eine Macht. „Kiosk“ heißt der just erschienene Gedichtband, teuer und gediegen ist er aufgemacht, und das ist gut so, schließlich ist Enzensberger 65 jetzt, im Rentenalter, und da verdient man auch formale Respektsbezeugungen. Eine Bastelarbeit aus Papier, hineingestellt in grüne Zweige, ziert den Umschlag, ein gefaketes Idyll. Lindgrün sind Vorsatzpapier und Rückumschlag: ein Buch wie ein Täßchen Tee am Nachmittag, ein kopfmäßiges Refugium, irgendwie buddhistisch, denkt man, und das nicht abschätzig.

Aber natürlich stimmt das nicht oder wenigstens nicht so, denn bei aller wohltuenden Distanziertheit: abgehoben ist Enzensberger nicht, sondern begibt sich, trotz seines Beharrens auf einer fast altgymnasiastenhaften Hochsprache, in die Niederungen der Verhältnisse, mitten rein ins Weltgewürge: „An der nächsten Ecke/ die drei ältlichen Schwestern/ in ihrer Bretterbude./ Zutraulich bieten sie/ Mord Gift Krieg/ einer netten Kundschaft/ zum Frühstück an./ Schönes Wetter heute. Penner,/ die Hundekuchen essen.“, geht das titelgebende Gedicht „Kiosk“ an, und man zieht den Hut: formal streng und tiptop, nicht diese untereinandergeschriebene Prosa, die einem seit x Jahren als Lyrik angedient wird. Und wie wohltuend, daß Enzensberger den kalkulierten, kalten Haß seiner ersten Gedichte aus den 50ern nicht krampfhaft zu retten und zu bewahren versucht hat: So klasse das immer noch ist, „Verteidigung der Wölfe“ – wie grauenhaft manieriert klänge das, schriebe er heute noch so: der Pensionär als zorniger alter Sack. (Und wütend bin ich selbst genug.)

„Kiosk“ ist das Beharren auf dem Recht, als Schriftsteller sogar in einem derart steindummen Land wie diesem in Weisheit altern zu können, ohne dabei die Billig- Buddhismus-Masche abziehen zu müssen, nach der man eben über den Wassern schwebt und nichts einen mehr juckt, nicht mal das eigene Fell. Anders Enzensberger: profane Altersgeilheit, etwas, das bei vielen älteren Kollgen, namentlich vor allem H. P. Piwitt, nur ranzig und schmierig ist, kommt bei Enzensberger ironisch hüpfend daher und angenehm konkret: „Unbegreiflich,/ was so sublim ist/ am bloßen Arsch einer Frau.“, heißt die Schlußstrophe von „Auch eine Offenbarung“.

Partiell hat Enzensbergers Lyrik erhöhte Traktatwerte: Im Gedicht „Der Krieg“, wie über die Unvergleichlichkeit des Krieges mit irgendetwas, darüber, daß Vergleiche nun eben immer hinken wie Goebbels, ist vom „Videospiel auf der Diskette des Schülers“ die tranige Rede; in „Genosse Bartleby“, dessen „Ich möchte lieber nicht“ Enzensberger sehr vertraut scheint – was ihn aus der Herde der Drängler und „Hier! Hier! Ich“- Krakehler im Kulturbetrieb heraushebt –, müssen es am Ende doch wirklich „die ewigen Werbespots/ für Mord und Totschlag“ sein – och nöö, nicht diesen Krempel bitte, den jeder Philologe abnicken kann – ins Horn des Kulturpessimismus muß Enzensberger nicht tuten, das kann er den Prostatafällen jeden Alters überlassen.

Erstaunlich: Enzensberger sorgt sich tatsächlich um dieses Land, die Menschheit, die abendländische Kultur, die ganze Scheiße eben. Das tut er seltsam anrührend, viel sympathischer als jeder dieser händeringenden Mahner und Warner, die durchs Land schorlemmern mit ihrem Tugut. Weder wütet Enzensberger, noch bergpredigt er: Er ist eine einzelne Stimme, hartnäckig klug, man kann ihr zuhören, ohne sie direkt wegzappen zu müssen, und das ist mehr, als man über das meiste, das hier öffentlich zu hören ist, sagen kann. „Bis auf weiteres bleibe ich,/ in der Schwebe“ endet „Gedankenflucht (IV)“ – wenn das Bewußtsein darüber in jedem Schädel dieses Landes stäke – das wäre ein Anfang. Tut es aber nicht, die Volksgesundheit steht fest im Fleisch, und da ist es doch gut, daß der Mainstream seinen Enzensberger aushalten muß, dem ich mal vorgeworfen habe, er schiele auf das Bundesverdienstkreuz, aber das war, glaube ich, Quatsch, ein die verfolgte Unschuld spielender Staatsdichter wie Biermann ist Enzensberger eben nicht, sondern gutes, altes Sand im Getriebe, destillierte Skepsis, die die Einpeitscher zum Innehalten bringen müßte, wenn die eine Ahnung hätten, was das ist. – Da Enzensberger erfreulicherweise auf die branchenübliche Tour verzichtet, sich so dumm zu stellen wie sein Publikum, damit das glauben darf, es sei so klug wie er, bestellt er seinen Acker gänzlich vergebens. Aber das ist ja selbstverständlich unter Leuten, bei denen die Schlußzeilen von „Gutes Zureden“ eine Saite zum Klingen bringen: „Du könntest auch anders,/ Es käme, denk es, o Seele,/ auf den Versuch an.“ Am schönsten allerdings wäre, und dann müßte man auch ihn nicht mehr lesen, man könnte dieses Land einfach wie ein Zeitungsabonnement abbestellen. Aber dafür, daß es mit dieser Utopie (noch) nicht hinhaut, kann nicht einmal Hans Magnus Enzensberger etwas. So raffiniert ist der.

Hans Magnus Enzensberger: „Kiosk“. Gedichte. Suhrkamp LeseRiese, 129 Seiten, geb., 38 DM

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