5 x Schweinefleisch süß-sauer

■ Das Checkpoint zeigt jetzt zwei weitere Filme von Wayne Wang, dem Regisseur des Berlinale-Höhepunkts "Smoke"

Jo und sein Neffe Steve sind Taxifahrer in San Franciscos Chinatown. Die beiden haben Chan 4.000 Dollar gegeben, damit er ihnen eine eigene Taxi-Lizenz beschafft, doch nun ist er verschwunden – „Chan is Missing“. Also begeben sie sich auf die Suche nach ihm, treffen seine Frau, seine Tochter, seine Anwältin, seinen Bürgen, Freunde. Die Suche führt sie durch Restaurants, in ein Altenheim, eine Sprachenschule, durch die gesamte chinesische Infrastruktur, und so entsteht das Psychogramm eines Einwanderers. Seine Probleme, sich zu assimilieren, werden ebenso erörtert wie seine Widerstände gegen die Integration. Jeder hat eine andere Geschichte beizutragen, ein anderes Bild von Chan; Bilder, die sich zudem oft widersprechen. Und so verwirrt sich auch für Jo und Steve ihr Bild von Chan, bis schließlich nur noch klar ist, daß er ihnen Geld schuldet. Chan selbst wird nicht auftauchen, nur noch mehr Erzählungen über ihn und schließlich auch das Geld.

Die Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalchinesen, die kulturell bedingten Kommunikationsprobleme mit englischen Muttersprachlern und nahezu alle anderen Probleme der Immigranten läßt Regisseur Wayne Wang wie ein Lehrstück ablaufen. Dabei lockt er den Zuschauer mit der Stilistik des Film noir und einer Detektivgeschichte, die allerdings nur leidlich Spannung entwickelt. Wenn Jo unter seiner Baseballmütze ebenso unbewegt wie todsterbenstraurig hervorguckt, erinnert er zwar an eine Karikatur von Philip Marlowe, aber seine Gegenüber frozzeln damit, daß sie ihn fragen, ob er Charlie Chan spiele.

Doch wie in Wayne Wangs letztem Film „Smoke“, der bei der Berlinale im Februar einer der Publikumshöhepunkte in einem mediokren Wettbewerb war, steht auch in „Chan is Missing“ nicht das im Mittelpunkt, was in den Bildern geschieht. Liebevoll gestaltet sind die kleinen Anekdoten, wie die von dem Koch, der Milch trinkt, Kette raucht und „Fly Me To The Moon“ singt, während er fünf Portionen Schweinefleisch süß-sauer kocht und dabei ein „Samurai Night Fever“-T-Shirt trägt.

Während das Handlungsgerüst eigentlich nicht vorhanden ist, übernehmen diese kleinen Geschichten die zentrale Rolle, ob sie nun tatsächlich passieren oder erzählt werden. „Willst du noch eine Geschichte hören, ich hab' noch eine?“ fragt Jo seinen Neffen. Und auch Chan hat sich längst als leibliche Person aufgelöst und sich gewandelt zum Kaleidoskop der Erfahrungen von Chinesen in den USA, ob sie nun eingewandert sind wie Jo oder dort geboren sind wie Steve.

Regisseur Wayne Wang wurde in Hongkong geboren, kam als Kind nach Kalifornien, studierte dort und drehte später fürs Fernsehen in Hongkong. „Chan is Missing“ war der Kino-Erstling von Wang und der erste Spielfilm, der in den USA mit einer ausschließlich chinesisch-amerikanischen Besetzung entstand. Doch an der moralischen Verpflichtung, seine community darzustellen, ist Wang nicht gescheitert.

Natürlich wird vieles nur angerissen, vielleicht zu vieles für ein 80minütiges, 22.000 Dollar billiges Schwarzweißfilmchen. Aber Wangs Film ist witzig und verantwortungsvoll, unterhaltsam und informativ. Auch ein Verdienst der Darsteller, von denen viele Laien waren und sich selbst spielten.

„Eat A Bowl Of Tea“ dagegen war „am glattesten und am nächsten am Mainstream dran von allem, was ich bisher gemacht habe“, wie Wang in einem Interview vermeldete. Der Film spielt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem aufgrund der drastischen Einwanderungsgesetze aussterbenden Chinatown von New York, wo es fast nur noch alte Männer gibt. Doch die Chinesen können nun endlich gleichberechtigte US-Bürger werden und ihre Frauen nach Amerika holen.

Mei Oi und Ben sind ein solch frisch verheiratetes Paar, die Hoffnung der chinesischen community und werden entsprechend gefeiert, aber auch beobachtet. In der Kneipe diskutieren die Alten, warum Mei Oi immer noch nicht schwanger ist: „Vielleicht wissen sie nicht, wie's geht? Zu Hause in China konnten sie den Schweinen zugucken, um es rauszubekommen.“ Am Erwartungsdruck der Großväter und der gesamten Verwandtschaft droht das Paar zu zerbrechen.

Bei aller Drastik und Dramatik ist „Eat A Bowl Of Tea“ zuvorderst eine Komödie, die einen Großteil der Komik aus der Diskrepanz der Kulturen zieht. Wobei Ben als positiver Entwurf, der sich problemlos in beiden Welten zurechtfindet, den manchmal düsteren Bildern Hoffnung gibt.

Auch wenn „Eat A Bowl Of Tea“ nicht in der Jetztzeit spielt, ist er doch mehr als nur ein Historiengemälde. Die Probleme, die Wang darstellt, sind oft dieselben wie in „Chan is Missing“, aber er findet andere, oft sehr romantische Bilder. Der allererste Kuß von Mei Oi und Ben findet statt vor der überlebensgroßen Leinwand in einem Freiluftkino in China, während gerade ein amerikanischer Film läuft. Aber keine Angst: Meist setzt Wayne Wang, der übrigens zu seinem Vornamen kam, weil sein Vater ein großer John-Wayne-Fan war, die Symbolik sparsamer ein. Thomas Winkler

Filme von Wayne Wang:

„Eat A Bowl Of Tea“ (USA 1988, 104 min) mit Russel Wong und Cora Miao

„Chan is Missing“ (USA 1981, 80 min) mit Wood Moy und Marc Hayashi, bis 29.3., Checkpoint, Leipziger Straße 55, Mitte