: Talk mit Todesfolge
Der große Treck über die Gürtellinie: US-Talk-Shows werden immer schlüpfriger und aggressiver. Jetzt ist der erste Tote zu beklagen ■ Aus New York Ute Thon
Eigentlich war das alles ja nur als harmloser Gag gedacht. Scott Amedure, ein junger Mann aus Michigan, sollte in der US-Talk- Show „Jenny Jones“ als stiller Verehrer den Studiogast Jonathan Schmitz überraschen. Doch die Überraschung über die homoerotische Ausstrahlung des jungen Scott war für Schmitz dann wohl doch größer, als die TV-Producer vermutet hatten: Drei Tage nach der Aufzeichnung der Show besuchte Schmitz den ungeliebten Verehrer und streckte ihn mit ein paar gezielten Pistolenschüssen nieder. Nach seiner Festnahme am vergangenen Freitag begründete er den Mord mit der furchtbaren Demütigung, die er durch Amedures Fernsehauftritt erlitten habe.
Der Tod des jungen Amerikaners hat in den USA eine neue Debatte darüber entfacht, wie weit die Sensationsgier im TV-Geschäft gehen darf. Zwar ist längst bekannt, daß die Sender im Kampf um die Quoten zu immer drastischeren Mitteln greifen, doch zu Kapitalverbrechen wollen die Produzenten ihre Talk-Gäste nun doch nicht anstiften. So kündigte Fernsehtalkerin Jenny Jones nach Bekanntwerden des Mordfalls mit betroffener Miene an, die betreffende Sendung, deren Ausstrahlung eigentlich im Mai geplant war, werde nun selbstverständlich nicht gezeigt.
Zur ihrer Rechtfertigung erklärten die TV-Verantwortlichen zudem, daß sie Mr. Schmitz schon vor der Sendung darauf vorbereitet hätten, daß es sich bei dem Verehrer möglicherweise um eine männliche Person handeln könnte. Schmitz' Reaktion läßt jedoch eher darauf schließen, daß die Casting- Agenten ihren Studiogast mit dem (im Englischen neutralen) Hinweis auf einen „admirer“ bewußt im unklaren ließen.
Jedenfalls würde dieses Szenario ins Konzept der „Jenny Jones“- Show passen. Zum Prinzip dieser und einer Reihe weiterer neuer US-Talk-Shows am Nachmittag gehört es nämlich, die Gäste völlig aus der Fassung zu bringen. Geht es dort beispielsweise um Mütter, die ihren Töchtern die Männer ausspannen, darf man sicher sein, daß der begehrte Macho schon mit einer dritten Frau hinter den Kulissen auf seinen Überraschungsauftritt wartet, während sich Mutter und Tochter vor laufender Kamera die Augen auskratzen. Die neuen Rambo-Talker – Montel Williams, Ricki Lake oder Jerry Springer – hetzen ihre Gäste durchs mediale Fegefeuer. Aufgepeitscht und ausgelacht vom Publikum, brechen die meisten in Tränen aus, wenn es am Ende ans telegene Küßchengeben geht. Manchmal kommt es aber trotz ausgeklügelter Versöhnungsdramaturgie auf der Bühne zu Handgreiflichkeiten.
Zwar kommen die Gäste, wie die Talk-Show-Produzenten immer wieder gern betonen, alle freiwillig. Doch eine immer aggressivere Akquirierungstaktik lockt viele Leute ins Studio, die der Macht des Mediums nicht gewachsen sind. So hatte Fox-Five-Star Montel Williams vor zwei Wochen drei junge Frauen zu Gast, die von ihren Männern derart unterdrückt werden, daß sie nicht einmal mehr die Farbe ihres Lidschattens selbst bestimmen dürfen. Eine der angeblich freiwillig Geknechteten wies allerdings mit etlichen blauen Flecken und Bißwunden so deutliche Spuren von Mißhandlung auf, daß selbst Mr. Williams Zweifel an ihrem Eheglück kamen.
Doch die einstündigen Talk- Shows sind keine sozialtherapeutischen Einrichtungen, auch wenn die anwesenden TV-Psychologen anderes suggerieren. Mit Sendeschluß ist auch Schluß mit der gespielten Anteilnahme der Gastgeber. Denn schon morgen steht eine andere Sensation auf dem Programm: „Teenager, die von sehr viel älteren Männern geschwängert wurden“ oder „Ich bin stolz, eine Jungfrau zu sein!“.
Der Erfolg der neuen Daytime- Shows ist so gigantisch, daß auch die konservativen Aufsichtsräte der großen Networks NBC, CBS und ABC bei den Schmuddelthemen jetzt eher ein Auge zudrücken. Die Shows von Jenny Jones oder Ricki Lake, die als unabhängige Produktionen auf verschiedenen Kanälen national ausgestrahlt werden, machen durch Werbeeinnahmen jährlich 50 bis 60 Millionen Dollar Profit – eine Summe, die früher nur Prime-time-Shows einbrachten. Denn die steigenden Ratings, vor allem bei jüngeren Zuschauern, sind auch den Media- Agenturen nicht entgangen. Mittlerweile buchen auch große Werbefirmen wie Procter & Gamble, die bis vor kurzem noch vor dem Negativimage der reißerischen TV-Shows zurückschreckten, Werbezeiten bei „Jenny Jones“.
Unterdessen verlieren Talk-Veteranen wie Phil Donahue (NBC) oder Oprah Winfrey (ABC) mit ihrem traditionelleren, sozialpolitischen Ansatz immer mehr ZuschauerInnen. Auch Jerry Springer, einst Bürgermeister von Cincinnati, hatte sein TV-Debüt zunächst mit einer anspruchsvolleren Talk-Show-Variante. „Aber die wollte niemand sehen“, sagt der neue Small-talk-Star im Vormittagsprogramm von NBC. Sein Chef, NBC-Präsident Robert C. Wright, knirscht zwar noch manchmal mit den Zähnen, wenn er jetzt Springers schlüpfrige Sendungen rund um impotente Männer und nymphomane Großmütter sieht. Die Zeit, wenn die Sendung läuft, sei nicht sein „bester Moment des Tages“, entschuldigte sich Wright im Interview mit der New York Times. „Doch“, so fügte er – ganz der demütige Erfüllungsgehilfe der Massen – hinzu, „es ist offensichtlich, daß es dafür ein Publikum gibt. Würden wir diese Art von Material sonst für eine Ausstrahlung bevorzugen? Die Antwort ist: nein.“
Seit dem Mord in Michigan hat sich Jenny Jones vorerst in die Deckung des Schweigens zurückgezogen. „Kein Kommentar“. Auf ihrem Programmplan standen letzte Woche allerdings harmlose Themen wie „Mai-Dezember-Beziehungen: Sind Altersunterschiede wichtig für die Liebe?“.
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