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Wann geht Willy Claes?

■ Schmiergeldaffäre belastet Belgiens Politik und den Nato-Generalsekretär

Brüssel (taz) – Der belgische Außenminister Frank Vandenbroucke ist zurückgetreten und hinterläßt die bohrende Frage wann Nato-Generalsekretär Willy Claes gehen wird. Vandenbroucke war vorgestern mit einer neuen Überraschung zur belgischen Schmiergeldaffäre herausgekommen. Er habe 1991, als er noch Chef der flämischen Sozialisten war, von Schwarzgeldern seiner Partei erfahren und angeordnet, das Geld, rund 300.000 Mark in bar, zu verbrennen. Vandenbroucke will aber nicht gewußt haben, woher das Geld stammte.

„Es klingt vielleicht naiv“, sagte Vandenbroucke, aber er habe einfach nicht weiter nachgefragt. Er sei davon ausgegangen, daß es sich um Altlasten aus der Zeit vor seinem Amtsantritt als Parteivorsitzender gehandelt habe. Deshalb wollte der Minister zunächst auch nicht freiwillig zurücktreten, er mußte von der belgischen Regierung zum Rücktritt gedrängt werden.

Die Affäre geht zurück auf die Jahre 1988 und 1989. Damals beschloß die belgische Vierparteienregierung, 46 Hubschrauber der italienischen Rüstungsfirma Agusta zu kaufen, zum Gesamtpreis von 600 Millionen Mark.

Inzwischen hat die belgische Staatsanwaltschaft herausgefunden, daß die italienische Firma großzügige Spendengelder an die beiden sozialistischen Parteien des Landes gezahlt hatte. So flossen 700.000 Mark an die wallonischen Sozialisten aus dem französischsprachigen Süden des Landes und 2,5 Millionen Mark an die flämischen Sozialisten. Nach wie vor ungeklärt ist der Mord an dem wallonischen Sozialistenchef André Cools, der 1991 in Liège auf offener Straße erschossen wurde. Die Untersuchungen in diesem Mordfall führten schließlich auf die Spur der Agusta-Affäre.

Eine Reihe von belgischen Politikern ist inzwischen zurückgetreten, einige sitzen in Untersuchungshaft. Der frühere Chef der belgischen Streitkräfte hat sich vor vierzehn Tagen in einem Brüsseler Hotel das Leben genommen. In der Politik, wo Ehre offensichtlich nicht so tragisch ernstgenommen wird, beteuern die Spitzen der Partei, von nichts gewußt zu haben. Das hätten die unteren Ränge erledigt.

Nach dem Rücktritt von Vandenbroucke werden nun die Fragen an Willy Claes, damals Wirtschaftsminister, schärfer werden. Claes hatte die Vorentscheidung für die umstrittenen Hubschrauber getroffen. Bis vor kurzem behauptete Claes, nie von den Schmiergeldern erfahren zu haben. Erst als Vandenbroucke vor drei Wochen erzählte, daß bei einem Mittagessen ausgerechnet im Büro von Claes über ein Bestechungsangebot von Agusta gesprochen wurde, da konnte sich auch Claes wieder erinnern. In der Nato wird schon seit einiger Zeit halblaut über einen Nachfolger nachgedacht. Hohe Offiziere fühlen sich von Claes angelogen und rücken langsam von ihm ab. Alois Berger

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