Wand und Boden: Spuren der Mühe
■ Kunst in Berlin jetzt: Uglow, Horvers, Koczy, Geschwister Hohenbüchler
Manche Art von Malerei scheint unter bergeweise Geschichte zu verschwinden. Es ist Alan Uglows erste Ausstellung in Berlin, aber die rechteckigen „Standards“ verweisen auf Minimalisten und konkrete Maler der späten sechziger Jahre, Daniel Buren oder Niele Toroni. Während Burens Markisen mittlerweile dekorativ und massenhaft in alle möglichen Stadträume dringen, und Toroni seinen Standard-Pinsel zum weltgestalterischen Idealmaß erklärt hat, wirken Uglows Arbeiten überraschend spannungsgeladen. Der 54jährige New Yorker variiert zehn Farben und eine Grundform – den Quader. Hochformatige Leinwände oder Büttenpapier werden durch eine Querlinie mittig geteilt, an den Rändern von exakt mit einem Strich durchgezogenen Linien gerahmt, und fertig ist ein „Untitled“. Erst wenn man länger draufschaut wird einem die Brutalität klar, die in solchen Konstruktionen steckt. Uglow überarbeitet jeden Auftrag mit dem Messer und trennt entsprechend ab, was der Hand an Unregelmäßigkeit unterläuft. Selten ist der Begriff vom „Hard-Edge“-Painting so wörtlich zu verstehen wie bei Uglows Bildern. Auf einem mit Weiß, leuchtendem Orange und Sattblau bemalten Blech erheben sich die bemalten Flächen wie Kerben kaum einen Millimeter. Eine quälende Genauigkeit, die dem dann doch großzügigen farblichen Zusammenspiel der in Reihe gehängten „Standards“ vorausgeht.
Bis 29. 4., Di.–Fr. 14–18.30, Sa. 11–14 Uhr, Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Straße 80
Zittrige Handschriften überziehen die Längswand der Galerie Ermer. Der Holländer Toine Horvers kommt von der Performance und benutzt die Authentizität. Doch das Ergebnis ist uneigennnützig. Bei einer Aktion im Oktober 1989 am gleichen Ort hatte er stundenlang die mit Blaupausen verhängte Wand betrommelt, bis sich unregelmäßige Punkte als Spur der Mühen abzeichneten. Toine Horvers nennt derlei Bilder „Clouds“, weil sie sich wie die Natur mehr aus Zufall formen. „Clouds 8“ geht aufs Stadtbild zurück: Nach Berlinplänen wurden Namen von Straßen ihrem Verlauf entsprechend mit Graphit aufgeschrieben. Zunächst bilden die spärlichen Wege des letzten Jahrhunderts die Grundlage. Sie sind mit schwachem Schriftzug markiert. Darüber lagern sich neuere Stadtentwicklungen ab: Zwar ist die Mitte zwischen Tiergarten, Moabit und künftigem Regierungsviertel noch immer ein fast unbeschriebenes Blatt Papier, daneben aber verdichtet es sich um die Oranienburger Straße gewaltig. Für denjenigen, der mit der Wendezeit vertraut ist, bilden diese Schichten die eigentlichen Brüche und Einschnitte. Ansonsten lassen sich aus den nachgezeichneten Bewegungen weder Flanerie noch Spurensuche ablesen. Eher schon Taxifahrerrouten.
Bis 8. 4., Di.–Fr. 16–, Sa. 13–17 Uhr, Knesebeckstraße 97
Die Ausstellung mit Zeichnungen von Rosemarie Koczy in der Galerie Fischer – Kunsthandel & Edition wird nur spärlich besucht. Zu leicht lassen sich die Leute auch vierzig Jahre nach Art brut von den ausgebreiteten Ängsten ums waidwunde Ich verschrecken. Tatsächlich ist das Menschenbild Rosemarie Koczys manisch- depressiv und zerklüftet. Dürre Ärmchen scheinen über den Bildrand hinausreichen zu wollen, Beine knoten sich wirr. Die Figuren taumeln mit weit aufgerissenen Augen wie im Schlaf. Sie sind eingesperrt in ein engmaschig verschlungenes Netz aus obsessiven Tuschestrichen, deren Zahl in die Tausende geht. Das Krankheitsbild ist ein doppeltes: expressiv verdrehte Kreaturen in uferlosen Flächen. Dennoch lassen sich diese Wesen nicht von der aufgebürdeten Last der Ornamente beugen, noch wollen sie im Durcheinander der angekratzten Psyche untergehen. Der eine raucht, ein anderer grübelt, ein dritter tanzt – und alle sehen dabei den Betrachter an. Nicht immer nur verzweifelt, ebenso mürrisch und frech. Man hat sich in der inneren Ödnis eingelebt. Auch Koczy stellt derweil in der venetianischen Guggenheim-Foundation aus, oder in Banken.
Bis 8. 4., Mi.–Fr. 16.30–19, Sa. 11–14 Uhr, Carmerstraße 14
Von Füssli und Lavater abgemalt, bei Nerval als Ursprung der Malerei gefeiert und jetzt in den Prozeß kollektiver Kunstfindung integriert: der Patient. Schon zur „Integrale“-Ausstellung letztes Jahr hatten die österreichischen Zwillingsschwestern Christine&Irene Hohenbüchler mit Insassen der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik gearbeitet. In der Doppelausstellung des daad und der Galerie Barbara Weiss sind weitere Koproduktionen zu sehen. Quer durch einen daad-Raum wurden Fäden für einen behelfsmäßigen Webstuhl gespannt, an dem mit der Zeit ein schmaler Schlauch geknüpft werden soll. In zwei weiteren Zimmern hängen vernähte Laken und Handschuhe, die unter dem Luftzug von Ventilatoren schweben. Dazwischen an die Wand geschriebene Texte: „very different persons are actually ,brothers under the skin‘“; Melancholiker-Lyrik, die auf dünnen Trennlinien selbst wie verwebt scheint. Dabei bleibt das Wortgeflecht trotz der subjektiven Berührungspunkte, des „Gefangenseins in ihren Ketten von Metaphern“, seltsam anonym, unmotiviert und in der verwendeten Schönschrift ein wenig betulich. Anders die Installationen in der Galerie Barbara Weiss; dort werden allerlei leichte Ausgehkleider in Vitrinen oder von der Decke baumelnd präsentiert, während an den Wänden obskur zugeschnitte Gemälde an Ösen aufgespannt sind. Die Mode schillert, die Farben der therapeutisch bemalten Leinwände sind braun, vermatscht und gedeckt. Es sind zwei Arten von Haut: eine für außen, die andere von innen.
Bis 30. 4. tgl. 12.30–19 Uhr, Kurfürstenstraße 58; und Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Potsdamer Straße 93 Harald Fricke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen