Schauspieler, Erbenforscher und Konzertagenten

■ Münchner Studie widerlegt das Klischee vom brotlosen Geschichtsstudium

Kann die Muse Klio ihre Kinder ernähren? Die landläufige Meinung dazu steht fest: Wer jahrelang Gerichtsakten aus dem 16. Jahrhundert liest, um eine Arbeit über Sexualdelikte in der frühen Neuzeit zu schreiben, endet bestenfalls als Taxifahrer.

Dieses Klischee versucht eine Absolventenbefragung der Fachschaft Geschichte der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zu widerlegen: Danach sind 82 Prozent aller Studenten, die ihre Magisterprüfung zwischen 1987 und 1992 gemacht haben, erfolgreich berufstätig. Auch wenn man berücksichtigt, daß nur etwa die Hälfte der 500 Fragebögen beantwortet wurden, fällt das Ergebnis der Befragung überraschend positiv aus.

Stephan Hofmann, der die nicht repräsentative Umfrage zusammen mit seinem Kommilitonen Georg Vogeler ausgewertet hat, war überrascht, welche unterschiedlichen Berufe die Magisterstudenten heute ausüben: „Die Bandbreite der Berufe reicht vom, Spartenleiter Elektrorecycling über die Konzertagenten bis zum Schauspieler oder Erbenermittler“, sagt der 31jährige Historiker. Mehr als 20 Prozent aller ehemaligen GeschichtsstudentInnen, die von Hofmann und Vogeler befragt wurden, arbeiten als JournalistInnen, fast 30 Prozent als HistorikerInnen. Von den 280 Befragten sind nur sieben damit beschäftigt, Urkundenverzeichnisse zu erstellen oder Bibliothekskataloge zu vervollständigen.

Die Münchner Studie hat auch gezeigt, daß der berufliche Erfolg vor allem von den praktischen Erfahrungen der StudentInnen und den dabei geknüpften persönlichen Kontakten abhängt: 18 Prozent aller Befragten haben ihren Job durch Praktika gefunden. Diese Beobachtung hat auch der Berliner Neuzeithistoriker Hagen Schulze gemacht: „Diejenigen, die während des Studiums in den Redaktionen arbeiten oder Praktika machen, haben eine schmale Chance.“ Die Möglichkeiten, als forschender Historiker an einer Universität zu arbeiten, beurteilt Schulze dagegen als „extrem schlecht“. Der Staat spart, soviel er kann, freiwerdende Stellen bleiben oftmals vakant. Schulze rät seinen Studenten, es in der Wirtschaft zu versuchen oder sich auf Museen zu spezialisieren. „In den Museen“, so Schulze, „werden gute Leute gesucht.“ Praktika verlängerten das Studium nicht zwangsläufig: „Die Leute, die sich außerhalb des Studiums engagieren, sind im Studium besonders gut.“

Doch auch praktische Erfahrungen sind keine Garantie für einen sicheren Job. Der 27jährige Michael Dorrmann bestand vor einem halben Jahr seine Magisterprüfung an der Berliner Humboldt-Universität. Seit seinem zweiten Semester hatte er als Praktikant und später als Mitarbeiter Ausstellungen des Deutschen Historischen Museums mit vorbereitet und dafür recherchiert. Das half ihm dabei, gleich nach dem Examen eine zeitlich begrenzte Stelle am Hygienemuseum in Dresden zu finden. Aber wenn die Ausstellung über „Seuchen in der Geschichte“ im Herbst eröffnet wird, muß er sich ein neues Projekt suchen.

„Historiker werden an Museen nur kurzfristig zur Vorbereitung von Ausstellungen beschäftigt, es wäre deshalb falsch, hier ein neues Berufsfeld aufzubauen“, sagt Dorrmann. Außerdem fehle vielen Historikern die praktische Erfahrung in der Museumsarbeit. Denn das Geschichtsstudium ist auf schriftliche Quellen fixiert, während es bei Ausstellungen vor allem darum geht, Bilder oder Alltagsgegenstände im historischen Zusammenhang zu zeigen.

„Ein Brotstudium ist das Geschichtsstudium nicht“, meint Lothar Gall, Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands in Frankfurt. „Ich rate meinen Studenten, ein nichtphilologisches Nebenfach zu wählen, zum Beispiel Jura. Das erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ Neue Berufsfelder für Historiker lassen sich theoretisch zwar finden, aber in der Praxis werden immer Zusatzqualifikationen verlangt. Auch ist die Bereitschaft der Industrie, Geisteswissenschaftler als Trainees einzustellen, durch die Rezession eher zurückgegangen. Wenn die Münchner Studie auch mit dem Vorurteil aufräumt, daß das Geschichtsstudium nutzlos sei – sofern es nicht zum Lehramt führt –, so zeigt sie doch: Der Erfolg beim Berufseinstieg hängt vom Engagement ab, das die HistorikerInnen außerhalb der Seminare und Vorlesungen aufbringen. Hofmann, der zur Zeit promoviert, bleibt deshalb trotz der positiven Ergebnisse seiner Umfrage skeptisch: „Meine Arbeit am Haus der Bayerischen Geschichte hat mir mehr gebracht als das Studium. Wenn man marktorientiert denkt, sollte man Geschichte als Studienfach trotz allem nicht empfehlen.“ Rüdiger Soldt