: Für Geld tut Horst Seehofer fast alles
■ Ein neuer Entwurf des Sozialhilfegesetzes will über eine halbe Million AusländerInnen unters Existenzminimum zwingen / Sachleistungen statt Geld / Erhoffte Einsparung: 1,3 Milliarden Mark
Berlin (taz) – Mehr als 600.000 AusländerInnen in der Bundesrepublik sollen künftig ein Leben unterhalb des Existenzminimums führen, das die Sozialhilfe für Deutsche festlegt. Die drastisch reduzierten staatlichen Hilfen sollen sie überdies nur noch in Form von Sachleistungen erhalten. Das sieht ein Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums vor, der der taz vorliegt. Mit Datum vom 7. 2. 95 hat Seehofer ihn als Schnellbrief an sämtliche Bundesministerien und das Bundeskanzleramt verschicken lassen.
Kernpunkt des Paragraphenwerks aus dem Hause Seehofer: Künftig sollen auch Bürgerkriegsflüchtlinge, geduldete Ausländer und Asylbewerber, die bereits länger als ein Jahr in Deutschland leben, unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Damit bekämen auch sie nur noch um mehr als ein Viertel gekürzte Sozialhilfeleistungen in Form von Sachmitteln.
Das 1993 im Zuge des „Asylkompromisses“ geschaffene, heftig umstrittene Gesetz hatte diese drei Gruppen bisher ausdrücklich von den Mittelkürzungen ausgenommen. Der Geltungsbereich des geplanten neuen Gesetzes wird damit auf einen siebenfach größeren Personenkreis ausgedehnt.
Nach Berechnungen des Bundesgesundheitsministeriums, neuerdings zuständig für die Sozialhilfegesetzgebung, werden statt 90.000 künftig 600.000 AusländerInnen eine drastisch gekürzte Sozialhilfe erhalten. Experten schätzen nach Durchsicht des Gesetzentwurfs die tatsächliche Zahl der Betroffenen auf rund eine Million. Von Seehofer kalkulierter Spareffekt dabei: 1,3 Milliarden Mark im Jahr. Möglich werden soll dieser Milliardencoup durch einen terminologischen Trick. Das erst eineinhalb Jahre Asylbewerberleistungsgesetz wird aufgehoben und als „Ausländerleistungsgesetz“ wieder eingeführt. Korrekter Titel laut Gesetzentwurf: „Gesetz zur Neuregelung von Leistungen an Ausländer bei vorübergehendem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.“
Das geplante Gesetz dehnt aber nicht nur die monatlichen Sozialhilfekürzungen auf den großen Kreis der Bürgerkriegsflüchtlinge und geduldeten AusländerInnen aus. Auch die medizinische Hilfe wird drastisch eingeschränkt. Die unter das „Ausländerleistungsgesetz“ fallenden Personen sollen zukünftig nur noch zur „Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ ärztlich behandelt werden.
Eine darüber hinausgehende medizinische Versorgung sollen staatliche Stellen nur noch für die Leiden übernehmen, die nachweislich eine Folge von Krieg oder Bürgerkrieg sind. Auch körperlich, geistig und seelisch behinderte Flüchtlinge sollen nur noch dann medizinische Hilfe bekommen, wenn ihre Behinderung durch Krieg oder Bürgerkrieg verursacht ist.
Zur „Sicherung der Identität“, so die fürsorgliche Formulierung im Gesetzentwurf, sollen darüber hinaus künftig sämtliche Bürgerkriegsflüchtlinge über 14 Jahren erkennungsdienstlich behandelt werden.
Genaue Anweisung aus dem Haus Seehofer: „Lichtbilder und Abdrucke aller zehn Finger“. Vera Gaserow
Siehe auch Seite 5
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