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Kredite für Hochzeiten und Ärzte

■ Sparkonten sind in Italien trotz Wirtschaftskrise beliebt

In all den drei Jahrzehnten, die Bernardo Rusconi in und um Rom herum Banken leitete, hat er zwei Konstanten als unverrückbar erlebt: „Die meisten Kredite, die in den Geldinstituten erbeten werden, betreffen weder Hausbau noch Autokauf wie in anderen Ländern, sondern die Ausrichtung von Hochzeiten für den Nachwuchs und Bestechung für Chefärzte in Kliniken.

Eine Beobachtung, die nicht nur der Bankier in der Region Latium macht. Selbst ärmliche Familien verschulden sich auf ein Jahrzehnt oder mehr, um den Filius oder das Töchterlein vor einer Hochzeitsgesellschaft von 200 bis 300 Personen zu vermählen. Derlei kostet auch in einfachen Trattorien (die bei solchen Gelegenheiten aber eher gemieden werden) schon um die 15.000 bis 30.000 Mark.

Noch merkwürdiger ist die Tendenz, der Gesundheit vor allem mit dicken Geldbündeln nachhelfen zu wollen. Die Bestechungsskandale haben in der Tat gezeigt, daß sich die Reihenfolge der Aufnahme in Kliniken mit Hilfe diskret überreichter Kuverts durchaus ändern läßt. Derlei halten viele Italiener für so normal, daß sie die „bustarella“, das Geldkuvert, auch dann anzubringen versuchen, wenn so etwas gar nicht nötig ist. Eine Schweinerei nennt es zum Beispiel Emilia Demin aus Terracina, daß ihr Schwiegervater in dieselbe Abteilung der römischen Gemelli- Klinik gekommen ist wie der Vater von ihrem Nachbarn Romolo Poietti, „denn die haben doch dort gar niemanden, während wir seit Jahren einen Arzt schmieren“. Sie werden aber auch künftig „bustarelle“ übergeben, sicher ist sicher.

„Italien ist das Land geradezu hirnrissiger Arten, mit Geld umzugehen“, schimpft der Chefredakteur von Il Giornale, Vittorio Feltre: „Die Leute geben ein Vermögen aus, um ihre Wohnungen zu wahren Kleinodien zu machen, aber sie knausern an der Mülltonne vorm Haus, werfen den Dreck lieber auf die Straße und klettern wochenlang darüber.“

Paradoxes Verhalten bestätigt auch das Staatliche Statistische Amt in Sachen Sparen: „Die Italiener sind Weltmeister im Anhäufen von Geld auf Sparbüchern und Girokonten“, stellt das Amt fest. „Kein anderes Land hat so hohe Pro-Kopf-Rücklagen.“

Doch gleichzeitig ist zum Beispiel gerade die Region, die in diesem Wettkampf weit über alle anderen hinausragt, Molise südlich von Rom, auch die widerstrebendste, wenn es darum geht, aufgehäufte Schulden zurückzuzahlen. Mehr als ein Drittel aller Kredite, so der Bankenverband, steht in Molise zur Zwangseintreibung aus (nationaler Durchschnitt: ein Zehntel). „Die Leute nehmen Kredite auf, nur um das Geld aufs Sparkonto zu legen.“ Dabei stört es sie offenbar nicht, daß sie für geliehenes Geld an die 15 Prozent Zinsen bezahlen, auf dem Sparbuch aber allenfalls 6 bis 7 bekommen. Doch ein „Libretto di risparmio“ gilt als derartiges Statussymbol, daß man sich dafür notfalls auch verschuldet.

Eine leichte Verschiebung der Gewohnheiten hat Banker Rusconi in den letzten Jahren allerdings doch festgesellt: „Seit die wirtschaftlichen Verhältnisse immer krisenhafter werden, gelten die Schmiergeldkuverts zunehmend als obsolet. Dennoch beantragen die Leute noch immer sehr viel Kredite für Bestechungen von Ärzten. Doch sobald sie das Geld haben, tauschen sie es sofort um – in wertvolle Goldmünzen oder Goldbarren. Die gelten derzeit beim empfangswilligen Personal offenbar als krisensicherer denn die absturzgefährdete Lira. Werner Raith, Rom

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