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Lemke trifft Horchem

■ Ein großer und ein kleiner Schlapphut vor Gericht Ehrenhafter Job oder 500.000 Mark für die Verletzung der Persönlichkeitsehre?

Landgericht Bremen, auf dem Flur gehen zwei Männer hintereinander in denselben Gerichtssaal und würdigen sich keines Blickes: Willi Lemke, Werder-Manager und Hans-Josef Horchem, publicityträchtiger Ex-Verfassungsschutz-Chef. „Ich habe Herrn Lemke hier zum ersten Mal gesehen“, erklärt Horchem in der Verhandlung. Lemke verlangt von Horchem 500.000 Mark wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte: Aufgrund einer Bemerkung in den Horchem-Memoiren „Auch Spione werden pensioniert“ war Lemke in Bremen als ehemaliger KGB- und VS-Kontaktmann enttarnt worden.

Die beiden Männer kannten sich bisher nur aus den Akten. Horchem war 1970 oberster Verfassungsschützer, als Willi Lemke, damals Student und Asta-Sportreferent in Hamburg, bei einer Reise in die damalige DDR vom sowjetischen Geheimdienst KGB angesprochen worden war. Über Jahre erhielt Lemke Geld vom KGB. Nach eigenen Angaben hatte Lemke sich aber schon nach dem ersten Treffen an den Verfassungsschutz gewandt - und war dort ermutigt worden, die Kontakte zum Schein weiter zu pflegen. Der Verfassungsschutz legte damals monatlich eine Summe auf das KGB-Salär oben drauf - der Nebenverdienst des „Doppelagenten“ lag in der Höhe des damaligen Bafög-Satzes. Lemke will dem KGB in den insgesamt 12 Treffen nichts von Bedeutung erzählt haben.

„In höchst unverantwortlicher Weise“, empörte sich der Lemke-Anwalt Klischies, habe der Hamburger VS den 23jährigen Studenten „zu einem lebensgefährlichen Verhalten angestiftet“. „Ich habe mich wochenlang dagegen gewehert“, erinnerte sich Lemke, nachdem der die VS-Akten über sich selbst studieren durfte. „Auf Drängen des VS“ habe er sich mit dem KGB getroffen, niemand habe ihn über das Risiko aufgeklärt.

Seitdem die Geschichte öffentlich wurde, muß sich Lemke in Fußballstadien als „Stasi-Schwein“ und „Kommunisten-Sau“ beschimpfen lassen. Eine ganze Kurve im Stadion habe einmal im Sprechchor „Willi - KGB“ gerufen, das Etikett „Doppelagent“ werde er nicht mehr los. „Diese Veröffentlichung hat mein Leben verändert“, meinte Lemke. Er traue sich nicht mehr nach Moskau und die Bremer SPD habe ihn 1994 kurzerhand als ihren Kandidaten für die Wahlmännerversammlung des Bundespräsidenten gestrichen - „und hier sitzt der Mann, der die Verantwortung dafür hat“.

Da saß Horchem, vom Landgericht zum persönlichen erscheinen verdonnert. Doch das Gericht, die Peinlichkeit des persönlichen Zusammentreffens würde die beiden Männer zum Einlenken bewegen, trog. Horchem bereute den Absatz in seinem Buch nicht. Mehrere Studenten seien damals verpflichtet worden wie Lemke, erklärte er. Er hatte beim Schreiben des Buches den Namen dieses Falles gar nicht gekannt und die Geschichte nur erwähnt, weil die Bremer SPD, als der „Student“ umgesiedelt war und da Landesgeschäftsführer werden wollte, über den Innensenator sofort kategorisch verlangt hatten, daß der kleine Doppelagent abgeschaltet wird. Auch der damalige Bürgermeister Koschnick und Parteichef Henning Scherf hatten davon erfahren.

Horchems Anwalt erklärte aus der Buchpassage hätte nur derjenige in Bremen auf Lemke schließen können, der den Vorgang kannte - eine Verletzung der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit könne Horchem deshalb nicht vorgeworfen werden. Auch das Hamburger Amtsgericht hatte Horchem im November 94 in erster Instanz von diesem Vorwurf freigesprochen. Durch einen „Tip“ habe die Presse in Bremen davon erfahren, nicht aus dem Buch.

Eine Verletzug der Persönlichkeitsrechte könne das, was da an wahren Tatsachen stehe, schon deshalb nicht sein, weil es eine Ehre sei, für den deutschen Verfassungsschutz zu arbeiten: „Ich kann nichts Ehrenrühriges daran finden.“ Heute noch bewundere er den Mut des Willi Lemke von damals. Wenn Medien das als verwerflich darstellen würden und Lemke als „Doppelagenten“ bezeichneten, könne er sich das nicht zurechnen lassen.

Das Gericht will in vier Wochen das Urteil zustellen. Beim Gang aus dem Gerichtssaal blickte Lemke nur einmal ganz kurz und verstohlen auf seinen früheren Auftraggeber. Dann gingen sich die beiden Männer wieder aus dem Weg.

K.W.

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