: Zwillinge im Duo
■ Svjatoslav Richter und Andreas Lucewicz in der ausverkauften Glocke
Eigentlich wollte ich über die unvergleichliche Klangwelt des Pianisten Svjatoslav Richter nicht schreiben müssen, sie nur für mich genießen. Aber dafür bestand das Konzert des großen Alten des Klavierspiels, des introvertierten Gegenpols zu dem exzentrischen Vladimir Horowitz, aus zu vielen kleinen Wundern.
Noch immer ist der Auftritt des inzwischen legendären, über achtzigjährigen Pianisten eine Überraschung: in Dunkel getaucht spielt er nur mit einem Spotlicht auf die Noten, die er demonstrativ vor sich stellt. Seit Jahren reduziert er auch seine Auftritte auf kleinere Städte, sogar auf die Provinz. Er spielt in Schulen unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Die schier überwältigende Fülle seiner Farbschattierungen und Klangnuancen, enorm exakt ausgehorcht durch das Ineinander von Anschlags-und Pedalisierungskunst, ließen drei Sonaten von Joseph Haydn so wirken, als seien sie im Augenblick ausgedacht: dies ist oberstes Gesetz jeder Interpretation. Die facettenreiche Entwicklung des thematischen Materials entfaltete er mit einer imaginären Logik, die nichts weniger als ein Erlebnis war.
Dasselbe gilt für die Interpretation der Variationen und Fuge B-Dur op. 86 über ein Thema von Ludwig van Beethoven von Max Reger für zwei Klaviere: sein Partner war hier der junge Andreas Lucewicz. Wenn man bedenkt, daß es fünf Pianisten auf der Welt gibt, mit denen Richter zu spielen bereit ist, dann ist auch dieses Zusammenspiel ein Erlebnis. Im Gegensatz zu den meisten sehr gegensätzlich spielenden Klavierduos wirken diese beiden wie siamesische Zwillinge, in einer ans Wunderbare grenzenden Einheit. Das kaum vorstellbare Maß an inhaltlicher und technischer gemeinsamer Genauigkeit, gemeinsamen Atems, ließ mich nach dem Probenaufwand fragen: siebzig Stunden. Und das hörte man auch: Reger, der bombastisch barocke Spätromantiker, erklang hier mit einer poetischen Leichtigkeit und einer zauberhaften tänzerischen Lockerheit. Der Fan, der am Ende Richter einen Blumenstrauß überreichen wollte, bescherte uns eine unvergeßliche Szene: Richter versuchte zunächst vergeblich, sogar mit den Zähnen, den Strauß zu zerteilen, bis schließlich beide Musiker an ihm zogen und endlich ein Helfer kam, um mit einer Zange den widerständigen Draht zu entfernen. Dann hatte Andreas Lucewicz auch seinen Strauß: mehr als verdient.
Ute Schalz-Laurenze
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