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Phonetisch explosiv

und das noch mit 88: Hans Mayer wird heute der Literaturpreis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste verliehen  ■ Von Peter Walther

Der ordentliche Professor für deutsche Literaturgeschichte und DDR-Nationalpreisträger Hans Mayer hat in den Hörsaal 40 geladen. Gekommen sind Ingeborg Bachmann und Peter Huchel, Hans Magnus Enzensberger, Stephan Hermlin, Inge und Walter Jens. Zum privaten Teil der Veranstaltung, am Abend in der Wohnung des Professors, gesellen sich die Kollegen Ernst Bloch und Werner Krauss hinzu.

Das war ein Jahr vor dem Mauerbau an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Mayer, der 1948 vom amerikanisch lizensierten „Radio Frankfurt“ in die sowjetische Besatzungszone gekommen war, wird schnell zum Geheimtip in Leipzig. Ein ehemaliger Student, Uwe Johnson, hat sich an die Auftritte seines akademischen Lehrers und Förderers erinnert: „Mayer betritt raschfüßig den Hörsaal 40, hat es noch auf dem Podium sehr eilig, endlich hinter dem Pult angelangt, beginnt fixes Sprechen. Sehr gespannte Stimme, könnte leicht reißen, phonetisch explosiv.“ So haben ihn etliche Studentengenerationen in Leipzig und später in Berlin und Hannover erlebt, darunter Christa Wolf, Erich Loest und F.C. Delius.

Mayer war ein gesamtdeutsches Phänomen schon zu einer Zeit, da an Wiedervereinigung nicht zu denken war. Daß seine undoktrinären Ansichten überhaupt bis 1963 in Leipzig geduldet wurden, hing mit einflußreichen Protektoren wie Brecht und Becher zusammen.

Brenzlig wurde es 1956, als nach einer kurzen Tauwetterperiode mit den Oppositionellen in der DDR aufgeräumt wurde. Auch in Leipzig sind zahlreiche Verhaftungen vorgenommen worden, ganz oben auf der Liste stand der damals 71jährige Philosoph Ernst Bloch. Von der Verhaftung Blochs hat man jedoch mit Rücksicht auf das Ansehen der DDR im Ausland abgesehen. Mayer wurde mehr und mehr zum Anachronismus an einer Universität, wo „BRD-Literatur“ schon wenig später unter der Rubrik „Weltliteratur“ gelehrt wurde.

Daß man ihn ausgerechnet als „bürgerliches Überbleibsel“ denunziert hat, läßt sich nur als Ironie der Geschichte begreifen. War es doch vor allem ein antibürgerlicher Impuls, der Hans Mayer an die Seite der Kommunisten führte. Der Sohn aus bürgerlich-jüdischem Hause studiert in den zwanziger Jahren Rechtswissenschaft in seiner Heimatstadt Köln und in Berlin.

Von den Eltern ausreichend mit Geld versorgt, stürzt er sich in das mondäne Treiben der Gesellschaften im Berliner Westen: „Einmal tanzte ich mit einem dicken und schwerfälligen Mädchen, das mir beim Tango heftig auf die Füße trat“, erinnert sich Mayer. „Sie entschuldigte sich nachlässig: ,Ich bin immer so müde, denn ich habe so schreckliche Inzestträume!‘“ Von solchen Szenen gelangweilt, wendet sich der junge Student der Lektüre marxistischer Schriften zu. Er engagiert sich in verschiedenen marxistischen Gruppen und wird solcher Neigungen wegen von der SPD, der er beitreten will, abgewiesen.

1933 findet sich der 26jährige promovierte Jurist, beinahe mittellos und ohne Aussicht auf berufliche Betätigung in seinem Fach, in der Emigration in Frankreich wieder. Nach einem Intermezzo als Redakteur einer Zeitung in Straßburg wird er Mitarbeiter an Max Horkheimers „Institut für Sozialforschung“, das von Frankfurt nach Genf emigriert war.

Dort kann er sich unter anderem mit Georg Büchner beschäftigen. In der Folge entsteht das erste Buch Mayers und die Gewißheit des Juristen, damit zu seiner eigentlichen Berufung gefunden zu haben. In der Schweiz durchläuft der Emigrant verschiedene Internierungslager, wo Straßenbau- und Drainagearbeiten zu verrichten sind. Das muß ein komischer Anblick gewesen sein.

Mayer hat es später beschrieben: „Wir sollten eine Straße bauen zwischen Davesco und Lugano. Sie ist auch fertig geworden. Meine Schuld war es nicht.“ Schon im Herbst 1945 kehrt er dann zurück nach Deutschland. Die Familie gibt es nicht mehr, und jeder Deutscher ist ein potentieller Täter. Wem kann man guten Gewissens die Hand geben? Als Chefredakteur von „Radio Frankfurt“ trägt Mayer gemeinsam mit Stephan Hermlin unter dem amerikanischen Zensuroffizier Golo Mann zur reeducation in der amerikanischen Zone bei. Neben Kommentaren zu politischen Ereignissen wie dem Nürnberger Prozeß schreibt der Heimkehrer vor allem Essays zu jener Literatur, die den Deutschen über zwölf Jahre hinweg vorenthalten wurde.

Die Freizügigkeit dauert jedoch nicht lange an. Während die marxistischen Ansichten Mayers im Zuge der aufkommenden Kalten Kriegs beim Sender auf immer weniger Gegenliebe treffen, formiert sich im Osten die kulturelle Front orthodoxer Kulturfunktionäre gegen den „Formalismus in Kunst und Literatur“.

Abweichungen von dieser Linie sind unerwünscht, der neuberufene Professor bekommt das während der fünfzehn Jahre in Leipzig oft zu spüren. Gegen den alten und den neu heranziehenden Mief setzt er ein weltoffenes Konzept von Literaturgeschichte. Kompromisse und Sklavensprache sind dabei unvermeidlich – Johnson hat davon berichtet, bis selbst das nicht mehr geht.

1963, zwei Jahre nach dem Mauerbau, ist es soweit: „Eine Lehrmeinung zuviel“, heißt der Artikel eines Studenten in der Universitätszeitung gegen seinen Professor.

Mayer zieht es vor, von einer Westreise nicht wieder heimzukehren. Sein Versuch, eine politische Heimat zu finden, „nicht einsam zu sein“, wie er schreibt, war gescheitert.

Im Westen gehört Mayer bald wieder zu den Autoritäten des Literaturbetriebs. Für ein paar Jahre noch lehrt er in Hannover, dann arbeitet er mit ungeheurer Produktivität an verschiedenen publizistischen Unternehmungen. Er, der in mehrfacher Hinsicht lebenslang ein Außenseiter gewesen ist, schreibt ein Buch über Außenseiter, er schreibt seine Lebenserinnerungen nieder und setzt seine Beschäftigung mit den Größen der Literatur und der Musik fort.

Mayers Verhältnis zur Prominenz ist ein Kapitel für sich. Irgendwann ist er ihnen allen einmal begegnet: Kurt Tucholsky, Carl Schmitt, Theodor Lessing, Carl Jacob Burckhardt, Robert Musil, Bertolt Brecht, Thomas Mann und Georg Lukács. Eitelkeit wird dem Jahrhundertzeugen Mayer nachgesagt: bei ihm ist das freilich eine einnehmende Eigenschaft, stets gepaart mit Interesse für den Gegenüber.

Hans Mayer ist nach wie vor als Schriftsteller wie auch in der literarischen Öffentlichkeit präsent. Zu unterschiedlichen Anlässen hält er Vorträge – in freier Rede –, nicht nur, weil er es in der Vergangenheit oft so gehalten hat, sondern auch, weil er Notizen kaum mehr lesen könnte. Schon damals hatte das Extemporieren auch Nachteile: Vor beinahe einem halben Jahrhundert ist ihm bei einer Rede in Weimar aus Anlaß der Goethe- Feier ein peinliches Mißgeschick passiert, als er den anwesenden Thomas Mann aus Versehen mit dem Vornamen seines Bruders anredete.

Mit solchen Pikanterien wird heute abend kaum zu rechnen sein, wenn dem 88jährigen Hans Mayer der Heinrich-Mann-Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste verliehen wird.

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