piwik no script img

■ Berliner Kriegsdienstgegner sammeln StrafanzeigenDarf man Mörder Mörder nennen?

Berlin (taz) – Nach dem liberalen „Soldatenurteil“ des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. August 1994 will es das Verteidigungsministerium von Volker Rühe (CDU) jetzt noch mal so richtig krachen lassen. Die Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär wird derzeit wegen einer Parodie der Bundeswehr-Werbung (siehe Abbildung) mit Strafanzeigen überzogen. Anscheinend kann es die Hardthöhe nicht ertragen, daß die obersten Richter die Aussage „Soldaten sind Mörder“ als „zulässige Meinungsäußerung“ durchgehen ließen.

In dem Text der Fake-Anzeige der Berliner Kampagne heißt es wörtlich: „Deutsche Armeen in einer langen Tradition: Ja, Morden. Morden im In- und Ausland ist für deutsche Soldaten nichts Außergewöhnliches. Erinnern wird uns: Angriffskrieg gegen Frankreich 1871. Deutschland beginnt einen Weltkrieg. Deutschland beginnt noch einen Weltkrieg. Somalia 1993/94. Menschen zu töten gehört zur Tradition von (deutschen) Armeen. Darauf sind wir stolz. Wir sind immer noch da. Bundeswehr.“

Wegen dieser politischen Parodie hat nicht nur der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, zugelangt. Strafantrag stellten auch der Generalinspekteur der Truppe, Klaus Naumann, sowie Oberst Bernhard Gertz, Chef des Bundeswehrverbandes, einer Art „Soldatengewerkschaft“.

CDU-Mann und Reserveoffizier Breuer schreibt in seinem Strafantrag, daß „diese ungeheuerlichen Anwürfe“ sich „zweifellos“ auf Soldaten der Bundeswehr bezögen und deshalb nicht durch das Urteil aus Karlsruhe gedeckt seien. In einer am gleichen Tag (8. Februar 1995) verbreiteten Presseerklärung der Fraktion übt Breuer Urteilsschelte und fordert eine Einschränkung der Meinungsfreiheit: „Die unselige „Mörder-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts trägt bittere Früchte. Sie wird von einigen als Freibrief für ungeheuerliche Ehrabschneidungen von Soldaten mißbraucht. Der Vorgang zeigt, wie berechtigt meine Forderung nach einer Strafgesetzänderung ist. [...] Die Soldaten wollen endlich Taten sehen.“ In ähnlichem Tenor tönt Bundeswehrverbandschef Bernhard Gertz – das „Soldatenurteil“ sei „eine gewagte rechtliche Konstruktion“.

Dazu Christian Herz von der Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht: „Die Anzeigen gegen uns sind ein Testballon, wie das Urteil der Verfassungsrichter auszulegen ist. Naumann, Gertz und Breuer befürchten, daß der Spruch aus Karlsruhe auf die Bundeswehr anwendbar wird, ohne juristisch verfolgt werden zu können.“

Doch die drei Strafanzeigen gegen die Kampagne sind noch nicht alles: Strafantrag gestellt hat die Hardthöhe auch wegen der Besetzung des Bendler-Blocks, der Berliner Dependance des Verteidigungsministeriums, durch protestierende Kriegsdienstgegner am 2. Januar 1995. Gegen einen Kinospot der Kampagne, der sich gegen die Abschiebung von Deserteuren nach Ex-Jugoslawien wendet, geht wegen „Beleidigung“ der Berliner Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) vor. Der Spot, der an über 100 Kinos vertrieben wurde, bezeichnet Abschiebung als Mord und nennt Heckelmann als einen der abschiebenden Innenminister.

„Mehrere hundert Strafbefehle“ schließlich, so Christian Herz, haben sich AktivistInnen der Kampagne seit 1991 bei Schienenblockaden vor „Rekrutenzügen“ eingefangen. Dabei ist es den Kampagnen-Leuten immer wieder gelungen, junge Männer „aus dem Zug heraus“ von der Verweigerung des Kriegsdienstes zu überzeugen. Hans-H. Kotte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen