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Das Material der Schwere

■ betr.: „Die Schwere des Materials“ (Berliner Holocaust-Denkmal), taz vom 18./19. 3. 95

War eigentlich etwas anderes zu erwarten? Die preisgekrönten Beiträge für das Berliner Holocaust- Denkmal enthalten auf den ersten Blick (ebenso auf den zweiten, den dritten usw.) ästhetische Umsetzungen, die in ihrer Ähnlichkeit (mit Ausnahme des Entwurfs von Renata Stih und Frieder Schnock) eine verblüffende Übereinstimmung zu suggerieren scheinen.

Worin, so frage ich mich, bestand eigentlich das Problem der Entscheidungsfindung? Aha, in der Ähnlichkeit. Viermal die Schwere der Geschichte durch die Schwere des Materials symbolisiert. Beton und Stahl. Mit Verlaub, derartige Gedanken sind zu verwerfen, bevor sie gedacht werden. Worin besteht die Qualität dieser prämierten Entwürfe, wenn nicht darin, einmal mehr die Unfähigkeit im Umgang mit der deutschen Geschichte zu ignorieren und sie deshalb exemplarisch zu belegen, anstatt sie zu thematisieren? Und worin besteht die Vision? Was verbindet die Entwürfe mit dem Jahr 1995, außer dem gerade in Berlin allgegenwärtigen deutschen Großkotz und einer geradezu designerischen Erscheinung?

Na, da haben wir's doch wieder mal. Tod läßt sich nun mal am besten durch etwas Totes darstellen. Was ist eigentlich gemeint, wenn ich genötigt werde, unter sechs Meter hohen Stahlträgern hindurchzugehen, so ich ins Innere gelangen will, um mich auf die Seite der Opfer zu stellen? Dieser Ort geht mit Erschrecken und Größe um. Aber ist es denn wirklich so schwer zu begreifen, daß es noch andere Möglichkeiten des Gedenkens gibt außer Erschrecken und Monumentalismus? Wie wäre es mit Zärtlichkeit, der Aufforderung zum Verweilen, mit konkretem Leben? Und was haben diese Entwürfe mit diesem Ort zu tun, mit dem Zusammenhang zwischen dem Holocaust und der Geschichte zweier deutscher Staaten nach 1945? Diese Entwürfe könnten auch irgendwo anders verwirklicht werden, wozu also dieses schnuckelige Stück Land in bester Citylage dafür hergeben? Und wo schließlich wird die Frage aufgegriffen, inwieweit und wie Gedenkstätten tatsächlich Einfluß auf die Gefühle, die Gedanken und die Handlungen der Menschen haben können, die diesen Ort aufsuchen? Angedeutet und vermutlich auch bewiesen, wird die Fähigkeit der Deutschen, aus Stahl und Beton etwas Großes bauen zu können. Aber war wirklich nichts anderes zu erwarten? Michael Schultze, Münster,

Waldo Riedl, Dortmund

Bereits bei der Ausschreibung des Wettbewerbs war klar, daß die inhaltliche und funktionale Aufgabenstellung die KünstlerInnen geradezu mit einer Aporie konfrontiert. Der Status des Denkmals, die unterschiedlichen Vorstellungen der maßgeblich Beteiligten, die Grundstücksgröße und vor allem die zu memorierende Geschichte ließen den Rückgriff auf am ehesten noch konsensträchtige architektonische und ungegenständliche Lösungen erwarten und eine Gigantomanie befürchten, im Sinne der von Lea Rosh bereits in den achtziger Jahren aufgestellten Proporzrechnung, daß sich die Größe der Verbrechen in die Mahnmalsdimensionen übersetzen müsse.

Ein Denkmal nach dem Entwurf der KünstlerInnengruppe um Christine Jackobs-Marks dürfte den Reiz einer Betonpiste oder eines abgeschrägten Aufmarschplatzes haben. Die wohl vom Washingtoner Vietnam Memorial angeregte Eingravierung der Namen der Ermordeten scheint schon deshalb problematisch, weil diese nicht ausnahmslos erfaßt sind und die Platte begehbar sein soll. Die „Reindividualisierung“ als ein Anstoß zu einer genaueren Erinnerung und zur Bewußtmachung der Tatsache, daß hinter der so rasch über die Lippen gehenden Zahl von Toten sechs Millionen einzelne Menschen stehen, kann sich ins Gegenteil verkehren: Menschen können auch hinter einer Ansammlung ihrer vermutlich monoton aneinandergereihten Namen verschwinden. Bei der zum gängigen Denkmalrepertoire zählenden und mit der Sepulkralästhetik harmonierenden Rezeption des jüdischen Brauchs, Steinchen an den Gräbern niederzulegen, wird ebenfalls in großem Maßstab gedacht; drei bis vier Meter hoch sollen die andernfalls auf dem Feld von 100 mal 100 Meter untergehenden Blöcke sein. Je größer die Steine, desto vitaler die Erinnerung? Ein solches Denkmal würde zum doppelten Ausdruck des guten Willens seiner Auftraggeber; sowohl mit seiner Errichtung als auch mit seiner Gestaltung würde bekräftigt, daß die ermordeten Juden nicht vergessen sind.

Bombastisch, wenig inspiriert und völlig beliebig (wiederum transportieren den historischen Kontext Namen, diesmal von Lagern – sind die außerhalb dieser Lager Ermordeten damit ausgeschlossen?) ist der unübersehbar Hans Holleins Vorschlag für die Jüdische Gedenkstätte Börneplatz in Frankfurt/Main verpflichtete Entwurf von Simon Ungers. Die hermetische Abriegelung nach außen hin demonstriert ungewollt(?), welcher Ort der Erinnerung im Gegenwartsbewußtsein zugewiesen wird, nämlich ein aus dem täglichen Leben ausgegrenzter.

Der Wettbewerbsbeitrag von Stih/Schnock, welche eine Integration in den Alltag und eine Vernetzung anstreben, konnte sich natürlich nicht gegen das abgehangene, auf monumentale Repräsentation hin angelegte Pathos durchsetzen – schließlich ist ein würdiger Gedenkort gewünscht. Brigitte Hausmann, Zeitlarn

[...] Ich halte den Entwurf der Berliner Künstlergruppe um Christine Jackobs-Marks für den gelungensten. Durch seine Monumentalität weist das Denkmal auf die ungeheure und unbegreifliche Dimension des zu gedenkenden Ereignisses hin. Im Gegensatz zu den anderen Entwürfen, die einen geschlossenen Raum darstellen und zu der Interpretation verleiten können, als sei das Ereignis des Gedenkens abgeschlossen und nicht wiederholbar, ist der Entwurf von Jackobs-Marks offen. Das Denkmal ist neben dem Gedenken des Vergangenen eine Mahnung, wachsam gegenüber neuen rassistischen Gefahren zu sein. Die 18 Felssteine vom Berg Massada, der in Israel als Symbol des Widerstandes gilt, weisen darauf hin. Das Eingravieren der Millionen Namen ermordeter Juden sollte zu einer ständigen Arbeit am Denkmal werden. Dadurch würde zusätzlich die ungeheure Dimension des Holocaust unterstrichen, und es würde zu einem Denkmal, das lebt und in die Gegenwart und in die Zukunft weist. Karl Uebelin, Mülheim/Ruhr

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