: Süden fordert Recht auf nachholende Verschmutzung
■ Regierungen und NGOs wollen „Verdreckungslimit“ der Erde ausschöpfen
Berlin (taz) – Die Umweltschützer setzen sich auf der Berliner Klimakonferenz mit den Regierungen in ein Boot. „Die Erde wird als begrenztes Bergwerk und begrenzter Abfallcontainer definiert. Nicht der Schutz der Natur, sondern der Schutz des Wirtschaftens steht auf der Tagesordnung“, meinte Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie am Samstag auf einer Podiumsdiskussion in Berlin. Weil das Fassungsvermögen der Atmosphäre begrenzt sei, werde jetzt ihre Toleranz erforscht.
Einig seien sich sowohl Regierungen als auch regierungsunabhängige Organisationen aus Erster und Dritter Welt aber darin, daß das Kontingent voll ausgeschöpft werden solle. Lediglich die Verteilung des Verdreckungsrechts sei strittig. „Der Süden pocht jetzt auf eine nachholende Verschmutzung, anstatt eine Alternative zum Modell einer energiehungrigen Wirtschaftsentwicklung zu suchen“, argumentierte Sachs.
Sunita Narain vom regierungsunabhängigen Center for Scieneces and Environment in Neu-Delhi war diese Perspektive zu abgehoben: „Es ist erst einmal keine Frage, daß der Norden seine Emissionen reduzieren muß, um so dem Süden den gerechten Wachstumsspielraum zu geben.“ In den Industrieländern werde dauernd von den Werten Demokratie und Gleichheit geredet – aber in Indien erlebe man täglich, daß die Welt extrem ungerecht sei, sagte sie und erntete dafür solidarischen Applaus aus dem etwa 150 Leute zählenden Publikum.
Das aber wollte Sachs gar nicht bestreiten. Er wandte sich jedoch gegen eine Buchhaltermentalität, bei der die Emissionen der Reisbauern gegen die der europäischen Autofahrer aufgerechnet würden. „Überlebensemissionen und Luxusemissionen dürfen nicht gleichgesetzt werden.“ Bei solch einer Wahrnehmung verschwänden nämlich Macht, Kultur und Geschichte aus dem Blickfeld – und der Kampf einer globalen Mittelklasse um Anteile am Wirtschaftskuchen sei plötzlich das Problem aller. „Dabei ist der dauernd akkumulierende Wirtschaftswettlauf historisch am Ende“, glaubt Sachs.
„Vielleicht ist das, was wir betreiben, tatsächlich Buchhalterei“, räumte die indische Wissenschaftlerin ein. Aber die Vision einer effektiveren, naturfreundlicheren und auf weniger Produkte abzielenden Wirtschaftsweise solle doch bitte nicht ausgerechnet im Süden entwickelt werden. „Die Leute im Norden sollen damit anfangen. Aber da ist ja nicht einmal eine ökologische Steuerreform durchsetzbar.“ Annette Jensen
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