■ Christliche Fundis gegen Lesben und Schwule: Stöhn – Jesus kommt schon wieder
Ulm (taz) – Rund 600 Gläubige überqueren am Sonntag vorletzter Woche den Münsterplatz, um die Abendmesse zu besuchen. Dabei müssen alle Besucher einen regelrechten Spießrutenlauf durch eine Reihe von Schmähplakaten mit Hetzparolen über sündiges Verhalten und aus dem Kontext gerissenen Bibelzitaten auf sich nehmen. „Homosexualität – ein Greuel vor Gott“, „Jesus kommt wieder“, „Ulm gleich Sodom“.
Dieses dümmliche Spalier befand sich nicht etwa in einem 200-Seelen-Dorf in der tiefsten Privinz, sondern in Ulm, einer Stadt mit über 100.000 Einwohnern, die sich „Universitäts-“ und „Wissenschaftsstadt“ nennt. Anlaß für das christlich-fundamentalistische Spektakel war ein Gottesdienst vorbereitet von und gestaltet mit homosexuellen ChristInnen. Der Gottesdienst fand im Rahmen der „Ersten schwul-lesbischen Kulturwochen“ statt und war vom Veranstalter, dem Verein „Rosige Zeiten“ beantragt worden.
Die kirchliche Veranstaltung hatte bereits im Vorfeld für viel Aufregung sowohl in der Kirchengemeinde als auch in der Bevölkerung gesorgt. Nachdem der Kirchengemeinderat mit zehn zu vier Stimmen für den Antrag der „Rosigen Zeiten“ gestimmt hatte, brach der Sturm los. Der Ulmer Prälat Rolf Scheffbuch prangerte praktizierte Homosexualität öffentlich als „Krankheit“ an, die nichts in der Kirche verloren habe. Homosexuelle seien nicht „schöpfungsgemäß“ und bedürften dringlichst der „Heilung“.
Ganz in diesem Tenor auch die Leserbriefe an die lokalen Zeitungen in Ulm, um Ulm und um Ulm herum: Von „widergöttlichem und gegen die natürliche Ordnung gerichtetem Verhalten“ war da meist die Rede; Schwule und Lesben sollten den Kirchenbesuch doch bitte zum Schuldeingeständnis und zur „Umkehr“ zur Heterosexualität nutzen.
Daß aber nicht alle Ulmerinnen und Ulmer so denken, zeigte die große Zahl der Kirchgänger am Sonntag abend. Nach Angaben von Münsterpfarrer Frank Banse, der auch den Gottesdienst abhielt, waren fast zehnmal soviel Menschen in der Kirche wie an sonstigen Sonntagen.
„Beschämend und traurig“, „wie im Dritten Reich“ und „menschenverachtend“ waren Kommentare von KirchenbesucherInnen vor und nach der Messe zu dem Aufmarsch der Protestierer, die sich als „Christen für die Wahrheit“ gerierten. Auch Pfarrer Banse bezog eindeutig Stellung und sprach sich für Offenheit und Toleranz gegenüber Homosexuellen aus; sie seien ebenso „Kinder Gottes“ wie die Heterosexuellen.
In einem anschließenden Nachgespräch zum Gottesdienst ging mit rund hundert Teilnehmern die Diskussion weiter. Zu den Bibelzitaten der Fundamentalisten sagte Pfarrer Banse, sie seien „keine zeitlos gültigen Wahrheiten“, sondern sie müßten immer im Kontext gesehen werden und könnten deshalb nicht einfach in die heutige Zeit übernommen werden.
Der Begriff der „Sünde“ wurde ausführlich diskutiert. Seine Homosexualität zu leben und sich in Liebe seinem Partner oder ihrer Partnerin zuzuwenden, könne nicht als Sünde deklariert werden, vielmehr sei es eine solche, Gottes Gaben nicht anzunehmen, formulierten einige der Anwesenden.
Die größte Sünde sei die Intoleranz, wie sie auch vor dem Portal zu spüren gewesen sei. Einige Lesben und Schwule berichteten von den langen inneren Kämpfen aus der Zeit vor und während ihres Coming-outs, in der sie sich getreu der strengen Bibellehre als „schuldig und schlecht“ empfunden hätten. In dem rosa Gottesdienst hätten sie sich jedoch „angenommen und willkommen“ gefühlt. Ursula Reiser
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