: Piefke und Protzke erobern den Ku'damm
Die Krise des Kurfürstendamms ist vor allem ein herbeigeredetes Phänomen, denn von einer tatsächlichen Konkurrenz der Friedrichstraße kann in den kommenden Jahren nicht die Rede sein / Neue Großprojekte liegen in der Schublade ■ Von Rolf Lautenschläger
Wenn Anke Zeder, Geschäftsführerin eines kleinen, aber noblen Schuhhauses am oberen Kurfürstendamm, noch vor der Ladenöffnung einen Blick in die Gazetten wirft, steigt Wut in ihr auf. Aber nicht die Räuberpistolen sind es, die sie so erregen, sondern andere Titel. „Der Osten boomt, der Ku'damm verkommt zur Bulettenmeile. Masse statt Klasse“, heißt es da. „Stück für Stück stirbt unser Kurfürstendamm, während der Osten aufblüht“. Oder: „Die neue Friedrichstraße läuft dem Westen den Rang ab“. Seit Wochen gehe das nun schon so, sagt sie. „Da wird ein Phantom gegen den Kurfürstendammm aufgebaut und vergessen, wer den Ku'damm wirklich kaputtmacht.“ Schuld an der Misere seien die hohen Gewerbemieten und die Leerstände im Viertel.
Darum reagiert Anke Zeder auch sauer, wenn Politiker die scheinbaren Konkurrenzen zwischen Ost und West noch schüren mit dem Ziel, die beiden Seiten gegeneinander auszuspielen. Während sich die Schuhverkäuferin über die westliche Verarmungstheorie von CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky noch ausschweigt, bringen sie die Worte von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) auf die Palme. „Piefke und Polkwitz halten am Ku'damm Einzug“, habe Rexrodt gesagt. Das Flair der einstigen Prachtstraße werde von Pommesbuden und Ramschläden abgelöst. Sicher, es gebe Probleme für die Geschäfte durch den Umstrukturierungsprozeß. Aber den Ku'damm zur „Bulettenmeile“ herunterzureden sei ebenso falsch, wie die Verantwortung für den Wandel den fast fertigen Glitzerpalästen an der Friedrichstraße anzulasten. „Am Kurfürstendamm sägen doch ganz andere.“
In Mitte nur Schlaglöcher und nachts dunkle Straßen
Während am Ku'damm gesägt wird, fehlt den vielbeschworenen Konkurrenten der Stadtmitte aber bisher die Potenz. Nach wie vor ist das neue Zentrum ein bauliches Rudiment, nachts verirrt man sich zwischen dunklen Straßen. Wer nicht aufpaßt, fällt in Schlaglöcher oder noch tiefer. Und Restaurants oder Kneipen, erst recht einen Schuhmacher sucht man in der Friedrichstadt vergebens. Zwar sind nach Auskunft der Forschungsstelle für den Handel (FfH) im Ostteil der Stadt die Verkaufsflächen in den letzten drei Jahren um rund ein Drittel auf 736.000 Quadratmeter gestiegen, und die geplanten Neubauten entlang der Friedrichstraße, am Potsdamer Platz oder am Alexanderplatz „werden zwar zu dynamischen Zuwächsen“ führen, so die FfH; von einer derzeitigen Konkurrenz für den Ku'damm durch die Glaspaläste und Einkaufsriesen könne indessen keine Rede sein. Ein Höhenflug an der Friedrichstraße sei „illusionär“, so die FfH, weil der Bauboom mit langfristig aufgerissenen Verkehrswegen, Baustellen und mangelnder Atmosphäre den Kommerz regelrecht verhindere. Erst im Jahr 2010 könne speziell im Bezirk Mitte mit einer Verkaufsfläche von insgesamt 360.000 Quadratmetern von einem „Metropolenstandard“ gesprochen werden. Erst dann würden auch die ersten Büroriesen am Alexanderplatz und der Potsdamer Platz fertiggestellt sein.
Das Schreckensszenario – im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter – ist also kaum mehr als die ideologische Angstnummer alter Frontstadtkämpfer. Richtig vielmehr ist, daß die westliche City selbst und Abschnitte des Kurfürstendamms ihr Gesicht verändern. Nach den Goldgräberzeiten kamen 1989 die Glücksritter, dann die Pleiten, und bald stehen die Multis vor der Tür.
„Was stirbt, ist eine Provinzialität, die sich nur in der Berliner Insellage vor dem Fall der Mauer halten konnte“, konstatiert mitleidslos der Immobilienexperte Michael Friedrich. Der „angestaubte“ Ku'damm lokaler Gemütlichkeit stehe vor einem Transformationsprozeß. Nicht nur kleine mittelständische Unternehmen und Läden könnten in „einem Rush“ von Großhandelsketten und Shopping-Halls vertrieben werden. Auch ganze Zentren – die Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße/Zoo – stünden vor einer Neubestimmung.
Dort etwa steht zur Debatte, gleich vier Hochhäuser für Hotels, Büros und andere Dienstleistungsfabriken zu errichten. Nach einer unruhigen Übergangsphase voller Bewegungen auf dem Immobilienmarkt könnten zukünftige Investoren die 3,5 Kilometer lange Achse in ein anderes bauliches, ökonomisches und soziales Stadtquartier verwandeln: Darin liegt vielleicht das eigentliche Schreckensszenario.
Neue Identität, aber ohne festen Halt
Denn für die Prognosen von Friedrich liefert die Wirklichkeit traurige Indizien: Nach der Schließung kultureller Einrichtungen, dem Abzug der Huren und der Vertreibung der Peep-Shows und Hütchenspieler inklusive zahlreicher Touristen (durch die Privatarmee der AG City) in Richtung Oranienburger Straße befielen den Boulevard noch mehr Depressionen. „Joe am Ku'damm“ mußte schließen. Berlins Seniorencafé „Möhring“ machte dicht. Ein paar alteingesessene Traditionsunternehmen wie der 1882 gegründete Herrenausstatter „Wünsch“ oder der Juwelier „Leclair“ und das Bürobedarfsgeschäft „Zeiss Union“ haben aufgegeben und die Zelte abbrechen müssen.
Auch Glücksritter der neuen Hauptstadt fanden in diesem wirtschaftlichen Umschichtungsprozeß wenig Halt, zogen doch ab 1991 auf dem Gewerbeflächenmarkt die Mieten durch Spekulationen und irrationale Renditeerwartungen dynamisch an. Der Kurfürstendamm ruiniert seither seine Mieter: Bis zu 220 Prozent mehr werden in guten City-Lagen rund um die Gedächtniskirche, an der Tauentzienstraße und an der Joachimstaler Straße verlangt. „Joe“ etwa konnte die Steigerung von 80.000 Mark auf 130.000 Mark monatlich für 1.400 Quadratmeter nicht mehr bezahlen. Eine Schuhfiliale am Tauentzien mußte aufgeben, da die Anhebung von 22.000 Mark auf 33.000 Mark nicht zu erwirtschaften war. Dem Restaurant in der nahen „Filmbühne am Steinplatz“ erging es ebenso. Seither wechseln dort die Besitzer. Fast 400 Mark pro Quadratmeter waren selbst „Virgin Megastore“ im Schatten der Gedächtniskirche zuviel. Auch das hedonistische Platten- und Bücherparadies „fnac“ mußte wegen überzogener Mietforderungen dichtmachen.
Die Goldgräberstimmung ist verflogen
Am unteren Ku'damm ist fünf Jahre nach dem Mauerfall die Goldgräberstimmung bereits verflogen. Die großen Ladenketten kommen und gehen, Kaufkraft und Mieten stehen auf tönernen Füßen. „Normale“ Preislagen sind selten geworden. „Es ist ein Zustand zwischen Nicht-Mehr und Noch-Nicht, womöglich ein Niemehr-Wieder“, beschreibt Rüdiger Schaper in der Süddeutschen Zeitung die Situation. Alles finde man derzeit noch dort: Nobelrestaurants und Freßläden, extravagante Modegeschäfte und Warenhäuser, teure Hotels und Büros, aber auch preiswerte Wohnungen und Kneipen.
Leerstände bedrohen besonders den Adenauerplatz und die Nebenstraßen des Kurfürstendamms. In der Explosion der Gewerbemieten und im spekulativen Leerstand sieht Helmut Heinrich, Finanzstadtrat im Bezirk Charlottenburg, das eigentliche Übel für die Schließung einiger Geschäfte und den Wechsel von der typischen kleinteiligen Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Geschäften zu Monostrukturen. „Ein zu spekulativer Markt und die Intention, höchste Mieten zu erzielen, haben dazu geführt, daß etwa Bekleidungsketten oder Schnellrestaurants auf dem Ku'damm Einzug gehalten haben.“
Neue Großprojekte lassen die Mischung bröckeln
Mit Zwangsgeldern will er gegen Leerstände und die schwarzen Immobilienschafe vorgehen. Um die Standortentwicklung zu kontrollieren, regt der Finanzstadtrat die Idee eines „City-Managements“ an, das bereits in Paris praktiziert wird. Hausbesitzer, Mieter, Unternehmen, Geschäftsleute und Anwohner versuchen dort – „wie an einem Runden Tisch“ – die unterschiedlichen Ansprüche und Interessen zu diskutieren. „Der Dialog zwischen Eigentümer und Mieter über die Zukunft des Ku'damms könnte die Mietenexplosion wieder zur Ruhe bringen.“
Unterstützung erhält Heinrich von Manuela Remus-Woelffling, Geschäftsführerin der AG City. Sie plädiert ebenfalls für ein „Mieter-Vermieter-Forum“. Die Schuld für die Probleme einiger Ku'damm-Geschäftsleute lastet auch sie der östlichen Mitte nicht an. „Berlin kann gut zwei Zentren vertragen.“ Konkurrenzen macht Remus-Woelffling eher im nahen Umland Berlins aus, wo riesige Einkaufsmärkte günstig zu erreichen seien, wärend in der City Parkverbote dominierten. „Auch die Umland-Märkte stellen ihr Angebot von Billigwaren auf höhere Nachfragen um.“ Für den Kurfürstendamm müßten deshalb Investitionsentscheidungen getroffen werden.
So wird in der Zukunft zwischen KaDeWe und Europa-Center, Kranzler-Eck und Adenauerplatz die wirtschaftliche, bauliche und soziale Mischung abbröckeln und das urbane Bild wechseln. Wo heute noch Gebäude aus dem 19. Jahrhundert den Stadtraum prägen, türmen sich morgen schon Turmhäuser wie das Kant-Dreieck. Ambitionierte Projekte, die den Konsum zelebrieren, liegen auf dem Reißbrett oder sind gerade fertiggestellt wie die Dachaufstockung des KaDeWe, der Neubau des Salamander-Hauses oder das fünfgeschossige Bauvorhaben von Peek&Cloppenburg am Tauentzien. Die Victoria-Versicherung plant einen umstrittenen Neubau am Kranzler-Eck. Helmut Jahn (Chicago) entwarf dafür einen sechzig Meter hohen Glasriegel, der sich quer zum Kurfürstendamm erhebt und auf einer Fläche von 5.000. Quadratmetern Geschäfte sowie auf 40.000 Quadratmetern Büros aufnehmen soll.
Gegenüber der Victoria-Versicherung wurde der Brau- und Brunnen AG bereits die Baugenehmigung für das Zoofenster erteilt. Für eine Nutzfläche von 20.000 Quadratmetern hat der britische Architekt Richard Rogers ein 22geschossiges Glashaus entworfen, das ebenfalls Geschäfte und Büros aufnehmen soll. Am Ende des Ku'damms sowie am Adenauerplatz stehen bereits zwei neue gläserne Bürobauten von Helmut Jahn: ein großes halbrundes Bürohaus und das schlanke „Handtuch“ Adenauerplatz Ecke Lewishamstraße, das regelrecht an der Brandmauer eines Altbaus klebt. Ebenso hat BMW seine neue Hauptzentrale an den Kurfürstendamm gelegt. Der Eingang gleicht einem Zylinder.
Sieht man es recht, dann wird der Ku'damm boomen: Über eine Million Quadratmeter Bruttogeschoßfläche für Büros liegen in der Schublade für die City West. Dagegen fehlen Wohnungen. Durch die einseitige Entwicklung in Richtung Büro- und Geschäftshäuser und wegen der rein finanziellen Interessen von Großinvestoren steht aber die Stadtstruktur insgesamt zur Disposition.
Man will es nicht glauben. Mythos und Heimweh nach dem Kurfürstendamm leben weiter. Damit einher geht die Sorge, daß das Neue nicht ausschließlich die Oberhand gewinnt. „Zum Charakter der Straße“, sagt Anke Zeder, „gehören der Branchenmix, die kleinen Geschäfte, der Touristenbummel und die Kultureinrichtungen.“ Es klingt wie eine Verteidigung der alten „Inseln im Strom“: Und kommt es noch so dicke, die Ku'dammrelikte bleiben: Kinos, Kabaretts und Hotels, Galerien, Juweliere und Gourmettempel, die Touristenkneipe und der Jazzschuppen, alles Inseln, die den Charakter der Straße, sein Flair, entscheidend mit definieren.
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