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Er wurde Ordensträger, sie Hausfrau

■ Zwei typische Karrieren: Paul Schlack, Erfinder des kriegswichtigen Perlons, später Forschungsleiter bei Hoechst, und Ruth W., Textilarbeiterin und Mutter

„Wer ist denn das?“ „Wie ist man denn auf die gekommen?“ Die Besucher sind irritiert – eine produktive Irritation. Der Ausstellungsabschnitt, der sich Paul Schlack als Erfinder des kriegswichtigen Perlons widmet, dokumentiert quasi spiegelverkehrt ein zweites Leben: das der Textilarbeiterin Ruth M. Die Gemeinsamkeit: Beide haben sich frühzeitig für Textilien interessiert, beide haben einen Fachabschluß. Der Unterschied: Der Mann, der die politischen Auswirkungen seiner Erfindung systematisch übersah, wurde in Kriegs- und Nachkriegszeiten hoch dekoriert. Die Frau indes war nur Objekt jener Technik, die der Professor mit erfunden hat. Für den 1897 geborenen Mann bedeutete der Krieg einen Qualifikationsschub, für das 1930 geborene Mädchen Ausgebombtwerden, Flucht, Beinah-Vergewaltigungen.

Anna Döpfner, die diesen Ausstellungsteil zusammenstellte und das Leben der beiden recherchierte, hatte sich einen Spruch von Walter Benjamin zu Herzen genommen: „Es ist schwieriger, der Namenlosen zu gedenken als der Berühmten.“ Sie schlug ihren Kollegen vor, diese Art von Geschichtsspiegelung auch auf die anderen berühmten Männer in der Ausstellung anzuwenden, aber das ließ sich wohl nicht machen: „Es wäre ungeheuer schwierig gewesen, zum Beispiel die hinter Admiral Dönitz stehende Ehefrau zu porträtieren.“

Einfach ist das bei einem Mann wie Paul Schlack aber auch nicht. Wie so viele Wissenschaftler hat er sich hinter dem vorgeblichen Dienst an der Allgemeinheit versteckt und nichts Persönliches veröffentlicht. Wir wissen also nur, daß er Chemie studierte und 1938 als Chemiker bei den zum IG-Farben-Konzern gehörenden Agfa- Werk das Perlon erfand. Von 1939 bis 1945 war er der wissenschaftliche Begleiter der Kriegsproduktion von Perlon, das für die Fallschirmseide und -schnüre unerläßlich wurde. Über diesen für ihn entscheidenden Karrieresprung schreibt Döpfner im Katalog: „Die Planung des sofortigen Einsatzes seiner Erfindungen in der Luftwaffe, die Verwendung enormer Summen für den Bau von zwei Perlonfabriken in den letzten Kriegsmonaten, die Rekrutierung von Zwangsarbeitern und deren unwürdige Unterbringung, der Abtransport von Juden vom Gelände seiner Arbeitsstelle, der ihm nicht unbemerkt geblieben sein kann – all das tritt zurück gegenüber der großen Aufgabe, die er sich gestellt hat: eine synthetische Faser zu entwickeln, mit der Deutschland an frühere Erfolge auf dem Gebiet der Chemie anknüpfen kann.“

1944 wurde Paul Schlack mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet, 1953 erhielt er den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Keinerlei Karriereknick, im Gegenteil: Zwischen 1946 und 1960 wurde er der wissenschaftliche Begleiter der Friedensproduktion von Perlon, danach Leiter der Faserforschung bei Hoechst und schließlich Professor an der TU Stuttgart. 1987 ist er gestorben. Aus dem von ihm erfundenen Stoff wurden nun Damenstrümpfe und Gardinenschnüre hergestellt.

Ruth M. hingegen war nichts und wurde nichts. Dafür erlebte sie alle Stationen, die in den Biographien von Kriegsfrauen typisch sind: die Bombenangriffe auf Berlin, das Pflichtjahr in einem schlesischen Haushalt, die Flucht mit einem Handwagen, Angst vor Vergewaltigung, Rückkehr nach Berlin. Nach Kriegsende strickte sie als Fünfzehnjährige für Privatleute im Tausch gegen Lebensmittel, später arbeitete sie als Maschinenstrickerin, die Ausbildung schloß sie mit einer Meisterprüfung ab. Als 1959 ihre Tochter geboren wurde, ging sie nicht länger arbeiten, bis ihr Mann starb. „Es ist keine größere gesellschaftliche Spanne denkbar als zwischen dem ,bedeutenden‘ Mann und der ,unbedeutenden‘ Frau“, schreibt Anna Döpfner. „Paul Schlack ,diente nur der Technik‘, Ruth M. nicht. Die beiden textilen Lebensgeschichten sind dennoch zwei Seiten der gleichen Medaille.“ Ute Scheub

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