: Gefangenenliteratur
■ betr.: „Das Viereck hinter der Tür“, taz vom 13. 3. 95
Nicht nur als Mitglied der Jury und ehemalige Preisträgerin, sondern auch als aktive Teilnehmerin an der Ingeborg-Drewitz-Preisverleihung für Gefangene bin ich entsetzt über den zur Preisverleihung erschienen Artikel. Dieser, so gar nicht taz-Niveau, stellte Nebensächlichkeiten in den Vordergrund und wurde durch viele fast höhnische Passagen nicht den Autoren und den preisgekrönten Texten gerecht.
Den „taubenblauen Trabbi“ und das „Hoch Kasimir“ zur Einleitung ließe man sich noch gefallen; lächerlich wird der Artikel aber spätestens dann, als der Autor den „frohen Pfarrer“ Magirius beschreibt oder den Literaturprofessor Helmut Koch, der gar im „schockblauen Pullover die Texte in eine weltliterarische Tradition berühmter Gefangener“ stellt. Den Gipfel brachte dann aber doch die Passage, in der der Autor den verehrenswerten Herrn Drewitz als „freundlich ergrauten Herrn“ darstellt, der sich „kolossal“ freute und anscheinend spinnerhaft glaube, seine Frau lebe im vergebenen Preis weiter. So kam das rüber, anstatt dem alten Herrn die nötige Achtung zu zollen.
Der Preisträger Kenny Berger, der unter einem Pseudonym schreibt, wird genannt und genau beschrieben; verulkt. Anscheinend war es wichtiger, seine Tätowierung zu erwähnen und ihn als „proletarisch-sympathischen Mofarocker“ hinzustellen, anstatt auf seine wirklich literarisch hochwertige Montage näher einzugehen. Sätze und Halbsätze wurden aus jedem Zusammenhang herausgenommen und die Realität verfremdend in den Artikel eingebaut. So geschehen mit Regina Merkels Anmerkung „Die Faschos ließe man natürlich abblitzen“. In diesem Gespräch ging es um viel mehr, und hätte der Autor dieses mitverfolgen können, so wäre ihm dieser Schlenker nicht passiert.
Und bei der Entgegennahme der Urkunden durch die Gefangenen wurde noch erheblich mehr gesagt als Simons Zitat: „Gesetzlose aller Länder, vereinigt Euch!“, was den unbedarften Leser durchaus entrüsten kann, wenn er ein „gängiges“ Bild über Gefangene hegt. Da wurde unter anderem geschildert, wie die Autoren die Haft erlebten und von ihren Erfahrungen mit der Gerechtigkeit gesprochen. Immer wieder brachten die Autoren ihre Freude darüber zum Ausdruck, zu den Preisträgern zu gehören. Auch wurden Texte verlesen von Gefangenen, die leider nicht kommen konnten, weil sie Schwierigkeiten mit der Justiz hatten. Auch diese Schwierigkeiten wurden besprochen und waren weitaus interessanter als die paar Sätze, die der taz-Schreiber brachte. Wichtige Worte von tief innen im System und im Herzen; Worte, die schockierten und Wut auslösten, aber auch traurig machten.
Alles in allem erinnert mich der Artikel an bloßen Schaufenster- Journalismus, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es dem Autor eher um die Ausschmückung seiner eigenen Geschichte ging als um den wirklichen Anlaß; um die Menschen, die schreibend der Gewalt widerstehen und Mut haben, mit ihren Geschichten, auch ureigenen Geschichten, an die Öffentlichkeit zu gehen. Marcel Reich-Ranicki entgegnete einmal auf die Frage, ob er denn Gefangenenliteratur kenne, schlicht: „Was? Gefangene? Ja ist denn da überhaupt etwas Brauchbares dabei?“ – In der Art: „Ja können die denn überhaupt schreiben?“
Sie können. Und mehr als das. Nachzulesen in „Gestohlener Himmel“, erschienen im Thom Verlag Leipzig zu 19,80 DM. Karin Amann
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