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Für eine intellektuelle Revolution

■ Ignacio Ramonet, Chefredakteur von „Le Monde diplomatique“, will mit seiner Zeitung Kontrapunkte zum „Absolutismus der Finanzmärkte und der Medien“ setzen

Thomas Adank: Verfolgt Le monde diplomatique das Projekt, der geschlagenen Linken in Frankreich neue Wege zu weisen?

Ignacio Ramonet: Von einem bewußten Projekt kann man nicht sprechen. Einige denken, Texte, die Le monde diplomatique publiziert, könnten die Bildung einer neuen Linken fördern. Offen gesagt ist dieser Ehrgeiz für uns zu gewichtig. Wir sind eine ganz kleine Zeitung, gemacht von vier ständigen Mitarbeitern und drei Teilzeitjournalisten. Wir haben uns bemüht, insbesondere in den achtziger Jahren, als die Köpfe von so vielen Ideen leergefegt worden sind, als die Erfahrung von Macht eine gewisse Linke abgenutzt und korrumpiert hat, uns treu zu bleiben, einer Tradition von demokratischen Werten und ganz einfach einer Konzeption von Humanismus. Heute nun sagt man uns, daß von diesen Prinzipien aus eine neue Linke aufgebaut werden kann. Das kann uns nur recht sein, aber wir sind parteipolitisch nicht gebunden. Für uns gilt es, gewisse Werte zu verteidigen. Wir beobachten etwa mit großer Sorge, was sich im sozialen Bereich ereignet.

Man gewinnt leicht den Eindruck, Le monde diplomatique widerstehe nicht immer der Versuchung, moralisch zu belehren.

Ja, das ist wahr, das ist zweifellos ein Fehler, den man korrigieren muß. Aber wenn man sich ansieht, wie leichtfertig die Leute, die sich an der Macht befinden, wie auch die Experten und solche, die sich zu Denkern aufblasen, mit dem elementaren Prinzip der moralischen Integrität umspringen – dann sagen wir uns, daß man gewisse Prinzipien wieder in Erinnerung rufen muß. Etwa, daß die Politiker im Dienste der Gemeinschaft stehen und nicht umgekehrt.

Ist der Glaube an das Primat von Moral und Politik vor der Ökonomie nicht illusorisch?

Lenin sagte, Ökonomie sei konzentrierte Politik, aber genau weil Lenin so dachte, hat das die Sowjetunion zu den Fünfjahresplänen geführt. Man hat eine Art Diktatur erzwungen im Namen ökonomischer Projekte, die sich als absurd erwiesen haben. Heute leben wir in einem System, das ähnlich funktioniert. Wiederum reklamiert man für die Ökonomie das Kommando und läßt die Politik nicht zu Wort kommen. Es ist Zeit, daß die PolitikerInnen endlich die Aufgabe von Politik neu definieren und die Anliegen der Öffentlichkeit wahrnehmen. Kollektive Projekte dürfen nicht durch ökonomische Prinzipien behindert werden, die oft aus der Makroökonomie stammen. Weil die Politik der Ökonomie unterworfen ist, sind wir heute in der Situation, wo die Linke und die Rechte sich zum Verwechseln ähnlich sind. Sämtliche Gruppen, die an die Macht kommen, machen die gleiche Politik, weil das Korsett gegeben ist, zum Beispiel als europäisches Zwangskorsett oder als Globalisierung der Ökonomie.

Welche Chancen geben Sie der Demokratie im Rahmen der internationalen Organisationen und angesichts der Krise der nationalen Souveränität?

Es gibt praktisch keine internationale Organisation, die demokratisch ist. Jedermann weiß, daß die EU-Kommission nicht durch das Parlament ernannt wird und daß das europäische Parlament sehr wenig Macht hat. Auch die UNO ist nicht demokratisch, weil die Vertreter der Staaten nicht gewählt werden. Sie sind nicht repräsentativ für die Parlamente, sondern für die Exekutiven, und oft handelt es sich um Apparatschiks, hohe Beamte.

Oder nehmen wir so mächtige Organisationen wie die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds: Nichts widerspricht dem Prinzip der Demokratie mehr als diese Organisationen. Daneben gibt es allerdings auch internationale Organisationen, die unsere Sympathie haben, der Europarat etwa, dessen Sorgen der Entwicklung der Demokratie und der Verteidigung der Menschenrechte gilt.

Heute suggeriert man uns pausenlos, Geschäfte seien wichtiger als Prinzipien, oder Markt sei wichtiger als Kultur und gemeinsame Vorstellungswelten. Man darf sich nicht einschüchtern lassen, wenn vom Gesetz des Marktes gesprochen wird, denn es bedeutet nichts anderes als das Gesetz des Stärkeren. Schließlich ist die Geschichte der Befreiung der Bürgerinnen und Bürger nichts anderes als die Geschichte des Kampfes gegen das Gesetz des Stärkeren.

Plädieren Sie, wie es Ihr Vorgänger Claude Julien ausgedrückt hat, für eine „neue Revolution der Bürgerinnen und Bürger“?

Wir stehen ein für eine intellektuelle Revolution. Man darf das Wort Revolution nicht im herkömmlichen Sinn verstehen – man braucht nicht alles umzustürzen, aber es geht darum, dieses eindimensionale Denken (des Wirtschaftsliberalismus, d. Red.) nicht zu akzeptieren. Das ist die Revolution. Eine vergleichbare Revolution hat sich im Zeitalter der Aufklärung ereignet. Damals herrschte ein Absolutismus sowohl der Monarchie wie der Kirche, heute haben wir es mit einem Absolutismus der Medien und der Finanzmärkte zu tun. Diesen zweifachen Absolutismus zu stürzen, indem man anders denkt, das ist der Kernpunkt. Interview Thomas Adank

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