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Sehnsucht nach Woodstock

■ „When I was Young“, das Bremer Buch zur Hippie-Nostalgiewelle /neu im Temmen Verlag

Nein, Bob Dylan war nicht in Woodstock dabei, wie Nicole Tiedemann in ihrem Aufsatz über die „haarigen Zeiten“ schreibt, und was eine echte Matte genannt zu werden verdient, hat der Meister auch nie getragen. Da waren Ende der Sechziger in der Tat Joe Cocker, John Lennon und Neil Young Vorbilder von ganz anderem Rang. Aber ohne Dylan kommt natürlich kein Buch über die wilden Jahre aus; auch „When I Was Young“ nicht, das die Edition Temmen dieses Jahr herausgebracht hat, und das 19 Aufsätze und Autobiographisches über „Kindheit und Jugend in der Flower-Power-Zeit“ enthält.

Die Autoren, über die im Band leider nur zu erfahren ist, daß sie Studenten an der Universität Bremen sind und an einer Ausstellung ähnlichen Namens im Kreismuseum Syke (noch bis zum 17.4.) mitgearbeitet haben, müssen jedenfalls eine Menge Spaß gehabt haben, als sie das ganze alte Zeug durchstöberten. Aber davon ist den meisten Aufsätzen kaum noch etwas anzumerken; sie kommen uns streng auf die Wissenschaftliche.

Trotz aller beflissenen Forschertätigkeit ist das Wichtigste und Naheliegendste so natürlich oft nicht bemerkt worden. Günter Amendts berühmtes „Sex Front“ etwa wurde schon 1971 nicht in erster Linie wegen der „ideologischen Prägung“ gelesen, sondern weil es einfach geiler war als all die anderen Aufklärungfibeln. Daß Petra Fleming in ihrem Aufsatz über „Die neue Aufklärung“ diesen doch sehr wichtigen Aspekt übergeht und auf „Samspel“ verweist, ein todlangweiliges aber pädagogisch wertvolles schwedisches Büchlein (“beschränkt sich auf das Wesentliche“), zeigt, wie schwer es sein kann, das Lebensgefühl der jüngeren Vergangenheit einzufangen. Wenn man es denn wünscht. Und deswegen sind Annemarie Meisters „Vom Leute-Tollfinden“, die Geschichte ihrer Kindergartenzeit, und Kerstin von Freytags „Teenager-Trip nach Amsterdam“ allemal spannender zu lesen als die Aufsätze über Anstandsbücher der Siebziger oder „Die deutsche Jugend in der Bild-Schlagzeile“. Ganz einfach deshalb, weil hier von persönlichen Erfahrungen erzählt wird.

Fragt sich, an welches Publikum die Herausgeber gedacht haben. Wer damals alt genug war, wird wohl noch was haben, worauf er seine Erinnerung stützen kann, ein zerfleddertes „Do it“ von Jerry Rubin auf dem Dachboden und die „Das Beste aus Pardon“-Bände; Leonard Cohens Platten abzuspielen hat so jemand sowieso nie bleiben lassen.

So scheint auch hier zu gelten, was der Geisteswissenschaft oft vorgehalten wird: Sie betreibe ihre Arbeit nur für sich selber. Dem Vernehmen nach hätten auch die nachgeborenen Kids mehr Spaß an Quelltexten denn an wissenschaftlicher Aufbereitung, wenn es sie denn überhaupt interessiert, was Mum und Dad und ihre großen Geschwister damals so alles angestellt haben.

Also nichts wie ran an den elterlichen Plattenschrank, auch wenn es ein echtes Zurück in diese Vergangenheit nicht gibt, wohl aber eine Sehnsucht danach, wie sie Isabelle Epplé, geboren 1979 (sic!), in diesem Band beschreibt (“Warum ich ein Hippie bin“): Verstärker voll aufdrehen und Dylans A Simple Twist of Fate mitsingen – „You were born in spring/But I was born too late“.

Markus Heller

When I Was Young, Hrsg. von Doris Foitzik, Catherine Schenda und Victor Ströver, Edition Temmen, 29,90 Mark.

Die Ausstellung „Forever Young“ist noch bis zum 17. April im Kreismuseum Syke zu sehen, Herrlichkeit 65; Di-Fr 14-17 Uhr, Sa-So 10-12 und 14-18 Uhr sowie nach Vereinbarung

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