: Immer Ärger mit der Polizei
RaddemonstrantInnen kritisieren mangelnde Sicherung und die offiziell zu niedrig angegebene Teilnehmerzahl / Post für Chef Saberschinsky ■ Von Christian Arns
Ausgelaugt und glücklich, so genossen am letzten Sonntag die Abertausende Teilnehmer der bislang größten Fahrraddemonstration die Abschlußkundgebung am Brandenburger Tor. Politische Gruppen aller Couleur warben für ihre Programmatik und den plötzlich „schon immer“ propagierten Klimaschutz, Musikgruppen und wärmende Sonnenstrahlen trugen zu blendender Laune bei.
Frenetischer Beifall wurde den Organisatoren zuteil, als sie die Schallgrenze von 100.000 für überschritten erklärten. Eine sechsstellige Teilnehmerzahl – selbst von den Veranstaltern hatten nur einige Überzeugungsoptimisten damit gerechnet. 40 Ordner seien allein zum Zweck, eine möglichst exakte Zahl zu ermitteln, im Einsatz gewesen, versichert Hermann Tenhagen, Pressesprecher des Klimaforums, zu dem sich die regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) zusammengeschlossen haben.
„In Berlin waren am Sonntag 15.000 Demonstranten per Fahrrad unterwegs“, beharrte hingegen am Montag der große Lagedienst der Polizei. Das sei die offizielle Zahl, die ihm so mitgeteilt worden sei, erklärte der Polizeisprecher. Absicht vermuten einige Veranstalter hinter dieser Untertreibung. Die „eindeutig völlig falsche Zahl“ sei politisch motiviert. Der Direktor der Berliner Landesschutzpolizei, Gernot Piestert, hat nach Meinung von Klimaforum- Sprecher Tenhagen „als einziger nur 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezählt“; nur er habe sich über den Erfolg der Demo „nicht recht freuen“ können. Schließlich sei es Piestert gewesen, der sich zunächst gegen die Sperrung der Avus ausgesprochen habe, so ein weiterer von den Veranstaltern erhobener Vorwurf. Gegenüber der Presse wollte sich Piestert zu der Kritik nicht äußern.
Mit der Avus-Sperrung habe der Direktor der Schutzpolizei nichts zu tun, verteidigte ihn dafür ein Sprecher der Polizeipressestelle. Das anfängliche Verbot sei von der zuständigen „Ordnungsbehörde des polizeilichen Staatsschutzes“ verhängt worden. Der Pressesprecher bestätigte hingegen gegenüber der taz, daß auch ihm die Zahl 15.000 von Chef- Schupo Piestert mitgeteilt worden sei. „Es gibt bei uns nur diese Grobschätzung, wo man von 15.000 Teilnehmern spricht.“ Piestert habe diese als Leiter des Polizeieinsatzes am Sonntag und „aufgrund der bei ihm eingehenden Meldungen“ abgegeben.
Einige Rundfunksender hatten diese „Grobschätzung“ als offizielle Teilnehmerzahl verkündet und darauf umgehend vehementen Protest geerntet. Die Nachrichtenagenturen verzichteten entgegen der üblichen Praxis vollständig auf Zahlenangaben. „Wir haben gar nicht gezählt“, gab die Polizeipressestelle offen zu. Da sich immer wieder Gruppen zusammengeschlossen hätten, andere auch wieder ein Stück zurück gefahren seien, habe die Polizei darauf verzichtet, die Teilnehmer systematisch zu zählen.
Eine Schätzung gaben jedoch einige Beamte gegenüber der taz noch auf der Autobahn ab: Gut 10.000 seien allein auf der Avus unterwegs, schließlich sei die Schlange auf der Stadtautobahn etwa acht Kilometer lang. Diese „Umnutzung der Avus durch mehrere 10.000 Radler“ war nach Meinung von Leif Miller, Geschäftsführer des Klimaforums, „besonders symbolträchtig“.
Ein Symbol sollte auch die „Beerdigung“ des weißen Mercedes sein, der, mit Trauerflor behangen, auf einer Nebenspur geschoben wurde. „Diese Strecke ist nicht für sie gesperrt“, verkündete darauf ein Polizist per Lautsprecher: „Sie verstoßen damit gegen die Absprachen und gegen die Straßenverkehrsordnung.“ Die Demonstranten quittierten diese Rechtsbelehrung mit höhnischem Gelächter, sollte die Tour über die Stadtautobahn doch gerade gegen sonst geltende Verkehrsregeln verstoßen.
Das war nicht überall ganz ungefährlich. „Die Polizei hatte offenbar den ausschließlichen Auftrag, die Autobahn gegen die Radler zu schützen und nicht etwa die TeilnehmerInnen einer genehmigten Raddemonstration gegen den Autoverkehr.“ Diesen Vorwurf richteten jetzt Peter Hocke und Daniel Janett, ebenfalls vom Klimaforum, in einem Offenen Brief an Polizeipräsident Hagen Saberschinsky. „Auf der ganzen Strecke stand die Polizei überwiegend an der falschen Stelle.“
Diese Beobachtung teilten vor allem Radler, die aus Neukölln über das kurze Autobahnstück zwischen Gradestraße und Oberlandstraße gekommen waren. Autofahrer hätten kaum erkennen können, daß die Strecke ausnahmsweise Fahrrädern vorbehalten war, zeigte eine Teilnehmerin sogar Verständnis für aufgebrachte Huper.
Verärgerte Sternfahrer berichteten auch von anderen Teilstücken, wo die Polizei große Kreuzungen nicht abgesichert habe. „Die DemonstrantInnen, unter ihnen viele Kinder, mußten selber ihren Zug gegen den anstürmenden Autoverkehr schützen“, so Janett und Hocke in ihrem Brief an Polizeipräsident Saberschinsky. Eine Einsatzauswertung habe es zwar gegeben, so die Auskunft der Polizeipressestelle, von Mängeln bei der Sicherung stehe darin aber nichts. Die einzelnen Gruppen seien durch vorweg fahrende Fahrzeuge, seitlichen Schutz und „und die Nachsorge“ begleitet worden.
Auf dem Kaiserdamm drängte sich ein wutentbrannter Autofahrer in die Menschenmenge, obwohl ihn ein Polizist daran zu hindern versuchte. Noch ehe der beinahe umgefahrene Beamte zur Tat schreiten konnte, hatten die Radler den Wagen umringt und festgesetzt. Nach heftigen Auseinandersetzungen mußte der Fahrer sein Auto unter hämischem Gelächter von der Fahrbahn schieben.
Verärgert zeigten sich viele Radler über die Rundfunkteams, die mit Autos mitten durch den Fahrradkonvoi fuhren. Auf der Avus wurde vielen die Hoffnung auf eine abgasfreie Fahrt durch den Grunewald genommen, weil sich die Wagen ihren Weg durch die Demo bahnten. (taz-Fotograf Wolfgang Borrs und sein Schreiberling waren mit ihren Rädern unterwegs.) Ein Demonstrant wurde nach eigenen Angaben von dem Wagen eines Senders angefahren. Beim Sturz habe er sich verletzt, sein teures Fahrrad sei völlig demoliert worden.
Die Stimmung ließen sich die meisten der Radler dennoch nicht nehmen. Die Abschlußkundgebung wurde zum Volksfest, zumal es auch noch Lob gab: „Ich bin stolz auf Sie“, rief Pene Lefale, Klimaschützer aus dem kleinen Inselstaat Westsamoa, „auf Ihre Regierung aber nicht.“
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