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Immer schneller dreht sich der Propeller

■ Der Luftraum über Berlin ist von Hobbyfliegern heißbegehrt / Luftverkehrsrichtlinien sollen anarchische Zustände verhindern / Erlaubt ist was gefällt, aber auf eigenes Risiko?

Für Sport- und Freizeitflieger ist der Himmel über Berlin und Brandenburg – fast – grenzenlos. Wer hier mit seinem motorisierten Vogel in die Luft geht, stößt auf weniger Regeln als ein Autofahrer im Straßenverkehr. Eher könnte man den Luftraum mit einer Skipiste vergleichen, wo kaum mehr als rechts vor links oder vorn vor hinten gilt und festgelegte Zonen oder ausgewiesene Hänge die Abfahrer steuern. „Über Berlin ist natürlich der Luftraum rund um Tegel, Schönefeld oder Tempelhof für private Flieger eingeschränkt“, betont Jens Schwabe, Flugleiter auf dem kleinen Sportflugplatz „Fritz Horn“ nördlich von Brandenburg/ Havel. Die Jets hätten gewissermaßen „Vorfahrt“, und die Luftsicherheit über der Stadt wäre wohl kaum zu garantieren, düsten alle so herum, wie sie wollten.

„Trotzdem gelten nur wenig wirklich einschränkende Richtlinien. Die Piloten fliegen auf eigenes Risiko innerhalb festgelegter Flugzonen“, sagt Schwabe. Über Berlin bildet eine 300-Meter-Zone das Limit, höher dürfen kleine Maschinen nicht steigen. Im nahen Umland steigt die Zone auf 1.700 Meter an, und schon hinter Fürstenwalde im Osten oder Brandenburg/Havel im Westen sind 3.000 Meter erlaubt. Wer sich mit seinem Flugzeug ordnungsgemäß auf dem Platz abmelde und die Starterlaubnis erhalte, könne „da oben“ im Prinzip treiben, was ihm gefällt, meint Schwabe verschmitzt: Looping, kontrollierter Absturz, Sichtflug bei Regen, Nebel und sogar in der Nacht.

Michael Bayr, Referent in der brandenburgischen Luftfahrtbehörde, sieht das natürlich etwas anders. Um die über 2.200 Sport- und Freizeitpiloten auf den insgesamt 33 zivilen Flugplätzen und genehmigten Graspisten in Berlin und dem Brandenburger Umland „kreisen“ quasi harte Luftverkehrsgesetze. Die Behörden überwachten die privaten Betreibergesellschaften der Flugplätze, etwa in Nauen, Fehrbellin, Brandenburg, Zellendorf oder Fürstenwalde, genau.

Bauliche Veränderungen müßten genehmigt werden, Schutzgebiete und Wohnbereiche seien nur in bestimmten Höhen passierbar, über den Miniports regelten definierte „Flugrunden und Korridore“ den Luftverkehr. Über bestimmten Gebieten sei es Vorschrift, daß sich die Piloten bei der jeweiligen Flugsicherung über Funk zu melden hätten. Verstöße zögen den Entzug der Lizenz nach sich. Noch im März 1995, so Bayr, sei die Luftverkehrsordnung neu in Kraft getreten und die Tieffliegerei eingeschränkt worden.

Die langen Jahre der beengten Westberliner Verhältnisse, die die Flugnarren stets bis nach Braunschweig oder nach Hannover trieben, haben nach dem Fall der Mauer und der Möglichkeit, das Umland zu nutzen, zu einem Privat- und Sportflugboom geführt. Für fast alle vorhandenen kleinen zivilen Flugplätze in Brandenburg fanden sich Betreibergesellschaften oder Sportvereine. Anträge für insgesamt 58 Flugplätze liegen im Potsdamer Verkehrsministerium auf dem Tisch. Michael Bayr und seine Behörde errechneten für die kommenden Jahre einen Bedarf von 15 Regionalflughäfen, 20 Motorsport- und 40 Segelflugplätzen. 1994 wurden über Brandenburg rund 350.000 Flugbewegungen registriert, wesentlich mehr als 1993. Demgegenüber sank jedoch die Zahl der Unfälle. Nach sieben Toten und 13 Verletzten 1993 waren es 1994 noch vier Tote und zehn Verletzte. Die „Störungen“ – leichte Unfälle – hingegen nahmen zu.

Doch das macht einem privaten Flughaudegen natürlich nichts aus. Fährt man am Wochenende zu den Flugplätzen Saarmund, Schönhagen oder Hönow, glaubt man sich von Hummeln umgeben, die wild durch die Lüfte brummen. Die Propeller drehen sich, es wird an den Maschinen herumgebastelt. Rundflüge über Potsdam bis zum Alexanderplatz sind ab 40 Mark im Angebot. Auf den Gras- und Betonpisten wird gestartet und gelandet, angeflogen und gleich wieder abgehoben. Ein anarchisches Durcheinander ist es nicht, aber die Freiheit über den Wolken scheint grenzenloser als am Boden. Rolf Lautenschläger

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