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Bayerische Drogenpolitik tötet

■ In München ist Kiffen verbotener als in Kiel / Justitia und Hasch: Völlig vernebelt

Seit einem Jahr befindet Deutschland sich im Drogennebel: Im April 1994 beschloß das Bundesverfassungsgericht, daß die Behörden von Strafverfolgung absehen müssen, wenn Cannabisprodukte nur in geringen Mengen und nur zum gelegentlichen Eigenverbrauch erworben, eingeführt und besessen werden – insofern keine Fremdgefährdung eingetreten ist. Nach diesem Paukenschlag begann die Debatte darum, was das nun eigentlich zu bedeuten habe. Die Konsequenzen, die sich in den Bundesländern aus dem Richterspruch ergaben, sind äußerst vielfältig.

„Wir werden diese Liberalisierung nicht mitmachen“, betont Michael Ziegler, Pressesprecher im bayerischen Innenministerium. Im Freistaat ist die Quote der Drogendelikte – Konsum und Handel – von 1993 bis 1994 um über 20 Prozent angestiegen. „Rund 60 Prozent dieser Steigerungsrate stehen im Zusammenhang mit dem Mißbrauch von Cannabisprodukten“, weiß Ziegler. Der BVG-Beschluß unterstütze diesen Dammbruch auch noch, klagt er. „Viele Jugendliche glauben doch jetzt, Haschischrauchen sei legal, und konsumieren Cannabis ungeniert in der Öffentlichkeit.“ Das Fazit: Nicht Entkriminalisierung, sondern Repression soll Abhilfe schaffen.

In Schleswig-Holstein sieht die Reaktion auf den Beschluß aus Karlsruhe völlig anders aus. Dort war man den Ereignissen ohnehin schon voraus: Bereits im Mai 1993 wurde das Vorgehen gegen Kleinkonsumenten durch eine Richtlinie geregelt – und später vom BVG bestätigt. Im Bundesvergleich verfahren die Behörden zwischen Nord- und Ostsee am freizügigsten: Wer dort mit maximal einem Gramm Heroin, fünf Gramm Kokain oder 30 Gramm Cannabisprodukten von der Polizei erwischt wird, braucht eine strafrechtliche Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft nicht zu fürchten.

„Die Richtlinie hat sich bewährt“, faßte Justizminister Klaus Klingner im März seinen Bericht an den Landtag zusammen. Auch Torsten Block aus dem Justizministerium hat Erfreuliches zu vermelden: „In den letzten beiden Jahren ist die Zahl der Drogendelikte sogar leicht rückläufig.“ Klingners Bericht erklärt dies mit verbesserter Prävention, die durch die Rücknahme der Strafverfolgung möglich wurde. Drogenberatungsstellen werden nun vermehrt in Anspruch genommen. Außerdem könne sich die Polizei nun auf die mittlere und höhere Dealerebene konzentrieren.

Auch Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer, hält den Beschluß aus Karlsruhe für ein richtiges Signal: „Scheinheilige Dogmatiker, die Hasch verteufeln, aber Alkohol verharmlosen, sind nun auf dem Rückzug.“ Im letzten Jahr sei die Debatte wesentlich sachlicher geworden, so der Präsident. Eine totale Cannabisverweigerung, wendet er ein, entspräche ohnehin nicht dem Stand von Wissenschaft und Forschung: „Der Gelegenheitskiffer lebt gesünder als der chronische Abstinenzler.“ Huber regt an, den Vertrieb von Cannabis über Apotheken zu regeln. Da repressive Drogenpolitik erwiesenermaßen auch mehr Drogenopfer zur Folge habe, urteilt der Präsident der Ärztekammer: „Die bayerische Drogenpolitik tötet Menschen.“ Aus ärztlicher Sicht sei solch ein Vorgehen irrational und eine vorsätzliche Beeinträchtigung der Volksgesundheit. Für ihn ist die Drogenpanik unverständlich, denn: „Die Sucht vieler Autofahrer zu rasen hat mehr Tote zur Folge als Heroin.“

Solche Argumente finden im sächsischen Justizministerium keinen Anklang. Pressesprecher Stefan Kämmerer will keine Schleusen öffnen: „Wir vertreten weiterhin eine rigorose Politik, die sich dieser Liberalisierung widersetzt.“ Da hier, genau wie im benachbarten Freistaat, keine Richtlinie für die Staatsanwaltschaften erlassen wurde, wird im Einzelfall entschieden. Kämmerer: „Bei geringen Mengen, also auf jeden Fall unter zehn Gramm, besteht die Möglichkeit, daß die Staatsanwaltschaft nicht eingreift.“ Rechtsklarheit hat der kleine Kiffer aber nicht. Er ist der juristischen Willkür ausgesetzt. Genau das darf laut BVG-Beschluß aber nicht sein.

Das Zehn-Gramm-Limit wäre ohnehin schon sehr hoch gegriffen bei einer „rigorosen Politik“ im Bayern des Ostens: Erst sieben Bundesländer haben sich zu einer Richtlinie durchgerungen. Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen setzen bei zehn Gramm Haschisch die Grenze, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bei sechs Gramm.

„Die Situation in Deutschland ist völlig unübersichtlich“, klagt Thomas Ahrens, Pressesprecher im Justizministerium von Sachsen- Anhalt. Während in einigen Ländern richtiggehende Verordnungen erlassen worden seien, hätten sich andere mit Rundschreiben an die Staatsanwaltschaften begnügt. Das Vorgehen gegen Joint-Genießer basiert in Deutschland also nicht auf einem einheitlichen Rechtsstatus. Hinzu kommt, daß die Justizministerien der Länder aneinander vorbei agieren: „Zwischen den Ministerien gibt es keinen Austausch über bestehende Richtlinien“, gesteht Ahrens ein. Eine amtliche Auflistung der Verfahrensweisen in den Ländern existiert nicht. Einen bundesweiten Durchblick hat niemand.

Die Karlsruher Richter wollten durch ihren Beschluß einen einheitlichen Standard herbeiführen. Doch die Aussicht, daß die Justizministerkonferenz sich auf eine gemeinsame Richtlinie verständigt, ist gleich null. Wer künftig mit einer Portion Haschisch durch Deutschland fährt, muß aufpassen, wenn er die Grenze eines Bundeslandes passiert. Denn obwohl Cannabis offiziell überall verboten ist, macht es für den einzelnen einen großen Unterschied, ob er seinen Joint im Kiel oder München raucht. Lars Klaaßen

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