: In dubio pro Cannabis
■ Bauern klagen Anbaugenehmigung für Hanfpflanzen ein
Ganz Europa baut wieder Hanf an. Der interessanteste unter den nachwachsenden Rohstoffen erobert die (Land-)Wirtschaft und wird dabei von der EU mit prächtigen Flächenbeihilfen gefördert. Ganz Europa? Nein! Deutschland wird noch von der kleinen, tapferen Bundesopiumstelle (früher Bundesgesundheitsamt) vor der für Klimakiller und Schlotindustrie so gefährlichen Pflanze verteidigt.
Aber wahrscheinlich wird das Anbauverbot noch in diesem Jahr fallen. In wenigen Wochen wird das Verwaltungsgericht Berlin über einen erneuten Eilantrag brandenburgischer Bauern entscheiden, mit dem diese den Anbau in der beginnenden Vegetationsperiode erzwingen wollen.
Rechtsgrundlage des Anbauverbotes ist das Betäubungsmittelgesetz (BtMG).
Anlage I zu 1 BtMG zählt unter die „nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel“: „Pflanzen und Pflanzenbestandteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen, ausgenommen a) deren Samen, b) wenn sie als Schutzstreifen für die Rübenzüchtung gepflanzt und vor der Blüte vernichtet werden oder c) wenn der Verkehr mit ihnen (ausgenommen der Anbau) zur Gewinnung oder zur Verarbeitung der Fasern für gewerbliche Zwecke dient.“
Damit ist der Anbau in Deutschland grundsätzlich und ohne Differenzierung nach Drogen- und Faserhanf untersagt. Ausnahmegenehmigungen gibt es nur für kleine, im begründeten wissenschaftlichen Interesse liegende Versuchsflächen, die dazu noch gegen jede Wegnahme sicher geschützt sein müssen. Daß diese Regelung viel zu weit geht und wirtschaftlichen Schaden anrichtet, wissen alle Fachleute, Kriminalisten, Ökologen und Landwirte. Aber Gesetz ist Gesetz, auch wenn es aufgrund besserer Erkenntnisse keinen Sinn mehr macht.
Um diese starre Regelung zu durchbrechen, boten sich den Anbauinteressenten drei Wege an:
1. Der Bundesgesundheitsminister ist ermächtigt, per Rechtsverordnung die Anlage I zu 1 des BtMG zu ändern. Er kann den Hanf einfach aus der Liste streichen, ohne daß dazu die schwerfällige Maschinerie des Gesetzgebers anlaufen müßte.
Einige Landtagsfraktionen haben bereits Anträge bei ihren jeweiligen Landesparlamenten eingebracht, mit denen die Landesregierung verpflichtet werden soll, einen entsprechenden Beschluß der Länderkammer, des Bundesrates, herbeizuführen.
2. „Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr läßt“, meinte der Wirtschaftslenker und Politiker Walter Rathenau. Das heißt: Wenn die Wirtschaft etwas benötigt, setzt sie es auch durch. Auch Lobby-Arbeit führt zum Ziel. Deshalb ist es wichtig, die Bauernverbände und alle mit der Landwirtschaft verbundenen gesellschaftlichen Organisationen in ihrem noch zaghaften Votum für die Freigabe des Hanfanbaues zu bestärken. Mitglieder sind auch die Hanfhäuser, die die Vermarktung der Produkte bereits sehr erfolgreich durchführen. So entsteht Nachfrage-Macht, die die Politik noch immer berücksichtigt hat.
3. Für die Auslegung und Anwendung der Gesetze sind hierzulande die Gerichte zuständig. Deshalb haben die anbauwilligen brandenburgischen Bauern schon im Oktober 1993 den Rechtsweg beschritten. Erwartungsgemäß hat das damalige Bundesgesundheitsamt den Antrag auf Anbaugenehmigung zurückgewiesen. Dagegen haben die Bauern Anfang 1994, also vor über einem Jahr, Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben.
Die tragenden Gründe der Klage sind:
– Hanf mit einem THC-Anteil von unter 0,3 Prozent wird von der EU gefördert. Damit hat die EU eine Ermessensentscheidung getroffen, die auch in Deutschland verbindlich ist: Solcher Hanf ist kein Drogenrohstoff, sondern eine Wirtschaftspflanze. Die deutschen Genehmigungsbehörden haben das ihnen zustehende Ermessen im Rahmen der von der EU vorgegebenen Wertung auszuüben.
– Das Verbot stellt einen gegen Art. 12 Grundgesetz verstoßenden Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten landwirtschaftlichen Betrieb dar. Der Anbau von Hanf kann nicht mit der Neuaufnahme einer genehmigungspflichtigen Produktion im gewerblichen Bereich verglichen werden. Vielmehr entspricht die turnusgemäße Aufnahme neuer Marktfrüchte in die Anbaupalette der typischen Betriebsführung eines landwirtschaftlichen Betriebes.
– Unter Faserhanfanpflanzungen läßt sich Drogenhanf nicht verstecken. Faserhanf wird sehr dicht gepflanzt, wird deshalb nur etwa 1,50 Meter hoch und entwickelt kaum Blätter und Blüten. THC entwickelt sich nur auf Pflanzen, die frei wachsen, Blattwerk entfalten und so bis zu vier Meter hoch werden können.
– Es werden nur der EU-Förderrichtlinie entsprechende THC- arme Sorten ausgebracht, die dazu noch vor der Reife, also bevor sich THC entwickeln kann, geerntet und zu Zellstoff verarbeitet werden sollen.
Mit diesen Argumenten werden die brandenburgischen Landwirte letztlich Erfolg haben. Ihre Klage ist als Musterklage aufgezogen. Das heißt, jeder Anbauwillige kann sich anhängen und auf das Ergebnis des Rechtsstreits berufen. Der ebenso tapfere wie unsinnige Abwehrkampf der Bundesopiumstelle ist also spätestens 1996 verloren. Dann steht auch in Deutschland regional gewachsener Hanf für den Aufbau nachhaltiger Kreislaufwirtschaften zur Verfügung. Matthias Schillo
Der Autor ist Vorstandsmitglied der Hanfgesellschaft e. V. und Richter am Berliner Kammergericht.
Eine ausführliche Begründung der Klage ist bei der Hanfgesellschaft erhältlich. Tel.: 030/6149884
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