: Jelzins Nacht-und-Nebel-Gesetz
■ Mitten in der Nacht wurde bekannt, daß der russische Präsident unlängst ein Gesetz zur Erweiterung der Kompetenzen des Geheimdienstes unterzeichnet hat / Demokraten: "Wiederbelebung des KGB"
Moskau (wps/dpa/taz) – In Rußland, so fürchten Menschenrechtler, ist in Zukunft wieder alles möglich. Der russische Inlandsgeheimdienst, Nachfolgeorganisation des sowjetischen KGB, darf nämlich bald wieder Durchsuchungen ohne einen Richterbeschluß, elektronische Überwachungen und Spionage durchführen, selbst Ermittlungen führen und eigene Gefängnisse unterhalten. Der in Zukunft als „Föderaler Sicherheitsdienst“ (FSB) bekannte Dienst soll mehr Befugnisse bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens erhalten und unter anderem das Recht haben, Agenten in ausländische Firmen einzuschleusen. Die Maßnahmen sind enthalten in einem „Föderalen Sicherheitsdienstgesetz“, das Präsident Boris Jelzin offenbar bereits am Montag unterzeichnet hat. Bekannt wurde dies erst durch eine knappe Depesche der Nachrichtenagentur Interfax, die am Donnerstag mitten in der Nacht veröffentlicht wurde.
In Kraft tritt das Gesetz erst mit der noch ausstehenden amtlichen Veröffentlichung. Die 450köpfige Staatsduma hatte es bereits im Februar verabschiedet, nach kurzer Debatte und mit nur 36 Gegenstimmen. Da Präsident Jelzin mit der Unterzeichnung so lange zögerte, hatten Beobachter gehofft, das Gesetz werde vielleicht nicht in der vorliegenden Form in Kraft treten.
Demokraten und Menschenrechtler äußerten scharfe Kritik. „Das Gesetz legalisiert eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen, die es den Sicherheitsdiensten ermöglichen, in das Privatleben der Bürger einzugreifen, sie zu überwachen, ihre Telefone abzuhören und ihre Briefe zu lesen“, protestierte Viktor Pokhmelkin, Vizevorsitzender des Dumakomitees zur Rechtsreform. Der „elastische“ Wortlaut des Gesetzes mache es leicht dehnbar. „Die Sicherheitsdienstdienste können es als Freibrief begreifen, die Schrauben anzuziehen und sogar massive Repression durchzuführen.“
Der einstige Menschenrechtsbeauftragte, Sergei Kowaljow, sprach von einer „Wiederbelebung des alten KGB“. Noch besorgter äußerte sich Exdissident Sergei Grigoriants, der neun Jahre in sowjetischen Gefängnissen verbrachte: „Dieses Gesetz erlaubt es den Diensten, ohne richterlichen Beschluß in Wohnungen einzubrechen“, sagte er. „Nicht mal der KGB unter Stalin hatte eine solche Vollmacht.“
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