: Wenn Hebezeugler feiern
■ Containerbrücken haben ein Gehirn / Die Siemenstochter FSZ in Oslebshausen baut sie / Zum 1.000. standardisierten Hebezeugschrank gabs Marzipan und feuchte Augen
Es gibt viele Menschen auf der Welt, von denen hat man noch nie gehört und trotzdem gibt es sie: Vorab-Nekrologschreiber; Pudelkastrateure; Hebezeugler. Hebezeugler? O ja, es gibt sie, sogar in Bremen! Am Donnerstag, 6.4.1995 feierten die Bremer Hebezeugler mit vielen Gästen ein denkwürdiges Ereignis: der tausendste standardisierte Hebezeugschrank war soeben fertiggeworden.
In Oslebshausen beim Struckenberg befindet sich das Fertigungs- und Servicezentrum Bremen (FSZ). In der Produktionshalle des FSZ stehen die Hebezeugler vor einem grauen Eisenschrank, der entfernt an einen Spind erinnert, und freuen sich. Kann man sich über einen grauen Eisenschrank freuen? Hebezeugler ja. Der Schrank nämlich hat's in sich: Drähte, Sicherungen, Schalter, Gleichrichter, dünne Drähte für digitale Signale. Was dem Unkundigen recht trivial vorkommt, läßt das Herz des Hebezeuglers höher schlagen. Was der Unkundige schon besser kapiert: Ein grauer Schrank kostet 50.000 Mark.
Letztendlich geht es darum, einen riesigen Kran zu steuern. Es geht um Containerbrücken in Taiwan oder Schüttgutkrane im Ruhrpott. Giganten, die bei ihrer Arbeit leicht ein Strom von 2.400 Ampère durchfließt, was schrecklich viel ist. Der Strom will zum Beispiel gleichgerichtet und geschaltet sein. Dann: viele Prozesse beim Beladen eines Containerschiffes laufen schon automatisch ab, es werden immer mehr. Das muß geregelt werden und überwacht. Darüberhinaus muß jeder Prozeß präzise und schnell ausgeführt werden – die Liegegebühren der Schiffe sind monströs. Die grauen Schränke im Oslebshauser FSZ sind so etwas wie das Gehirn solcher Containerbrücken und anderer „Hebezeuge“. Wenn 80 Oslebshauser Hebezeugler 1.000 solcher Gehirnschränke gebaut (und verkauft) heben, sind sie zurecht stolz.
Früher war das FSZ mal eine Werkstatt von Siemens. Heute ist es eine Tochter von Siemens, die gehalten ist, sich um Aufträge und Umsatz selbst zu kümmern. Eine Hamburger Schwester in gleicher Lage etwa baut wasserdichte Telefone oder Abgasuntersuchungsstationen für Dieselmotoren. In Bremen drücken sich in einer Ecke die Steuerung für ein U-Boot und große Schiffstransformatoren herum – sonst Schränke, Schränke, Schränke. Durch ein hohes Maß an Standardisierung konnte die Tochter von Siemens (Image: immer noch das etwas Teurere) ihre Produktion um 20% verbilligen (ein Betriebsmitglied: „Quantensprung!“) und sich am Weltmarkt eine respektable Position erkämpfen. Shanghai, Singapur, Israel, die Häfen von Piräus, Triest und Taiwan stehen in der Kundenkartei, und natürlich die kleine Bremer Lagerhaus-Gesellschaft. Großabnehmer ist mit Vulkan-Kocks ein Kranhersteller, mit dem das FSZ seit 1991 kooperiert.
Zum Schluß gab es für die gesamte Hebezeugmannschaft und alle Gäste Lübecker Marzipan. Unter den weniger originellen, dafür aufrüttelnden Parolen „Nicht auf den Lorbeeren ausruhen! Die Konkurrenz schläft nicht! Stillstand bedeutet Rückschritt!“ prostete man sich auf die nächsten tausend Hebezeugschränke zu. Die Augen der Ingenieure blickten ingenieursmäßig in die Ferne. Ja, sie glühten!
BuS
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