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Wettstreit der Meister-Verschwinder

■ Horst Hoheisels Idee zum Holocaust-Denkmal: Schleift das Brandenburger Tor!

Inzwischen ist zum Allgemeinplatz geworden, was vor Jahren noch ein Bonmot des amerikanischen Denkmalforschers James Young war: daß die Diskussionen um ein Denkmal das eigentliche Denkmal sind. Wie sich diese Anschauung durchgesetzt hat, sieht man schon an der Tatsache, daß nicht nur die preisgekrönten oder sonstwie erwähnten Entwürfe zum zentralen Mahnmal ausgestellt werden, sondern auch die, die in der stolzen Gewißheit einer Niederlage eingereicht wurden.

Zu den interessantesten unter diesen gehört ein Entwurf des Kasseler Künstlers Horst Hoheisel. Ihm schwebt nichts Geringeres vor, als das Brandenburger Tor zu „schleifen“, als ein „Symbol der ungebrochenen nationalen Identität“ der Deutschen, die es seit dem Holocaust nicht mehr geben könne. „Also zerbreche ich das Symbol, zermahle die Steine und streue den Staub auf das Gelände des zentralen Denkmals für die Ermordung der Juden Europas. Darüber lege ich eine Schicht aus den in Berliner Bürgersteigen häufig zu findenden Granitplatten.“

Hoheisel ist neben Esther und Jochen Gerz mit ihrem versinkenden „Gegen-Denkmal“ in Hamburg-Harburg wohl der bekannteste unter den Konzeptkünstlern, die meinen, ein Holocaust-Denkmal könne nur das eigene Scheitern inszenieren, müsse also eine Art Negativ-Form aufweisen.

Hoheisel, der am vergangenen Wochenende ein Mahnmal in Buchenwald einweihte, hat dies in der Vergangenheit bereits zweimal durchexerziert. Für seine Konzeption für Buchenwald hat er Daimler-Benz um Unterstützung gebeten – was mit Bedauern abschlägig beschieden wurde: Alle verfügbaren Sponsorengelder gingen an das zentrale Mahnmal in Berlin.

Seine bekannteste Arbeit ist der Aschrott-Brunnen in Kassel: Zwölf Meter hoch, neo-gotisch, war der erstmals 1908 von einem jüdischen Unternehmer erbaute Brunnen, der während des Novemberpogroms von den Nazis zerstört wurde. In dem Krater, der von ihm übriggeblieben war, hatten die Kasseler Blumenbeete gepflanzt und den Brunnen, aus dessen Nähe auch die Juden der Stadt deportiert wurden, „Aschrotts Grab“ genannt. Eine schlichte Rekonstruktion wäre, so Hoheisel, eine „dekorative Lüge“ gewesen, eine falsche Wiedergutmachung. Deshalb stellte Hoheisel ein exaktes Pendant des alten Brunnens her, das er aber als negative Betonform in den Boden versenkte, zwölf Meter tief ins Grundwasser. Durch Spiegelungen mit dem Wasser entsteht ganz tief unten ein Bild des Brunnens, wie er einmal ausgesehen hat – als ein Bild von seiner Abwesenheit. Als subterraner Teil der Geschichte Kassels erinnert es an die Mär von den Juden als Brunnenvergiftern; nur daß Hoheisel möchte, daß man an die Deutschen als die eigentlichen Vergifter denkt.

Mit seiner Idee vom „geschleiften“ und in alle Winde verstreuten Brandenburger Tor, will Hoheisel Jochen Gerzs Idee vom verschwindenden Mahnmal noch überbieten – ein kleiner Wettstreit der Meister-Verschwinder scheint im Gang. „Ein Denkmal muß nicht immer etwas Neugebautes sein, es kann auch ein bewußtes Hergeben des liebgewonnenen Objekts sein“, so Hoheisel, „dessen Fehlen, dessen Lücke stärker und unübersehbarer wirken kann, als jeder monumentale Bau. Was hat im Vergleich dazu das jüdische Volk durch das Massenmorden der Nazis verloren?“

Ob ein solcher Entwurf näher bei den Toten sein kann als eine gigantische Grabplatte oder andere aufwendige Betonkonstruktionen ist fraglich. Womöglich stimmt, was Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte in Buchenwald, befürchtet: „Letztlich sind auch die Gegen-Denkmäler zur Mimesis der eigenen Bedürfnislage, zur Selbstdarstellung verdammt.“ Womöglich hat auch die Anglistik- Professorin Aleida Assmann recht, wenn sie von einem neuen Kulturheroismus spricht: „Was bleibt an der Stelle, wo ein Denkmal verschwunden ist? Nur noch der Name des Künstlers.“ Mariam Niroumand

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