: Dokumente eines Soz-Feminismus
Zwischen Unabhängigkeit und Ideologie, mit angeknackstem Optimismus und gebrochener Moral: 50er-Jahre-Briefe von Brigitte Reimann an eine Freundin im Westen ■ Von Friederike Freier
Auf die Briefe der Romantikerinnen schielend, klagt Christa Wolf in einem ihrer Briefe an Brigitte Reimann, daß es von „unserer Zeit“ keine Briefliteratur geben wird. Dabei hat Reimann reichlich Material hinterlassen; neben den 1983 erschienenen Tagebüchern und Briefen liegt mit neuentdeckten frühen „Briefen an eine Freundin im Westen“ (1947-53) ein dritter Band mit überaus ambivalenten Zeugnissen vor.
Veralore Schwirtz war drei Jahre lang mit Brigitte Reimann befreundet, ehe sie mit ihrer Mutter in den Westen zog. Die fünfzehnjährigen Freundinnen setzten ihre Gespräche in Briefen fort, bis der Kontakt nach sechs Jahren abriß. Nicht nur die politischen Meinungen sind weit auseinandergegangen – Reimann ist Atheistin geworden und hängt dem neuen Staat an –, sondern auch die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Frauenbilder divergieren offensichtlich. So gibt sich Reimann zwar durchaus moralisch, verliebt sich aber dennoch alle naselang, ist „leichtsinnig“ und ehrgeizig.
Als sie ziemlich schnell entschlossen dann doch heiratet, enden die Briefe. Erst 1972, knapp ein Jahr vor Reimanns Krebstod, kommt noch einmal eine Nachricht von der Freundin, und Reimann schreibt ein letztes Mal zurück. Alles in allem ist das Konvolut nicht nur für Reimann-LeserInnen ergiebig, sondern liefert auch schönstes Material über die frühen Fünfziger. Reimanns letzter Brief liest sich wie ein Dokument eines „sozialistischen Feminismus“:
„Es war einmal eine höchst lebendige Frau, die zweimal ein Studium begann, zweimal den Hochschulen entlief, aus Rebellion gegen ihre Herren Lehrer provisorisch Lehrerin wurde, während sie ihr erstes Buch schrieb (...), eine Menge Männergeschichten hatte, eine Menge Dummheiten beging – die sie bis heute nicht bereut –, viermal heiratete, kein Kind wollte – was sie heute ein bißchen bereut – weil sie Schreiben für wichtiger hielt, und die Kneipen und Luxusbars, Hinterhofwohnungen und die Villen der Prominenz kennenlernte; es war einmal eine Schriftstellerin, die zu früh und zu viel Erfolg hatte, manchmal hungerte und manchmal wahnsinnig viel Geld verdiente, einen Haufen Orden bekam und so ziemlich alle Literaturpreise, die hierzulande verliehen werden, an eine Große Sache glaubte und an einer Großen Sache zweifelte, sich nach fremden Ländern sehnte und nur die Nachbarschaft zu sehen bekam, Polen, Prag, Moskau – und allerdings das herrliche, unvergeßliche Sibirien, Baikalsee und die Taiga, und die in jungen Jahren verhaftet wurde und eingesperrt werden sollte, und die zehn Jahre später am Tisch von Walter Ulbricht Abendbrot aß, mal ganz unten und mal ganz oben war, mit berühmten Malern und Literaten verkehrte und als Hilfsschlosser in der Brigade im Braunkohlenkombinat arbeitete – kurzum: es war einmal, und es war gut so, und auch das Schlimme und Dreckige war in seiner Art gut so.“
Piaf, Erika Pluhar und Schöpfungsgeschichte lassen grüßen – aber abgesehen davon blitzen in diesem letzten Brief an Veralore Schwirtz die beiden neuralgischen Punkte auf, um die Reimanns Auseinandersetzungen fast immer kreisten: Um die Ideologien, um Theorie und Praxis der DDR zum einen, und zum anderen um die eigene Unabhängigkeit. Sie steht damit nicht allein: Man kann diesen Tenor auch in Texten von Maxie Wander, Gerti Tetzner, Irmtraut Morgner, Christa Wolf finden.
Wie eine Parallele zur Doppelbelastung der „werktätigen Frauen und Mütter unserer Republik“ existierte eine doppelte Fixierung der Schriftstellerinnen auf „real existierende Utopien“ (Christa Wolf): Dem Staat sehr willkommen, teilten sie mit den meisten männlichen Kollegen ein kommunistisches Ideal, das sich bei ihnen mit der Sehnsucht nach dem Ende des Patriarchats verband. Dies wiederum billigte der Übervater- Staat nur, solange sie unter der Formel „Frauen-stehen-ihren- Mann“ lediglich ökonomische Unabhängigkeit suchten.
Reimanns Jugendbriefe liefern einen Prolog zu dieser Geschichte: Sie strotzen vor Optimismus hinsichtlich des Staates und Moralpredigten an die eigene Adresse. Aber der Optimismus hat einen Knacks, und auch die zweite, bürgerliche Lehre ist bei Reimann nicht ganz so rein. Regelmäßig muß sie sich von Mitschülerinnen vorwerfen lassen, „unmoralisch“ zu sein.
Manche der Briefe klingen nach enthusiastisch vorgetragenem Staatsbürgerkunde-Unterricht. Reimann gibt getreulich Auskunft, in der Schule sei dazu aufgefordert worden, sozialistische Gedanken in den Westen zu transportieren: „Du denkst nicht politisch“, tadelt sie die Freundin, „darf ich Dir mal meine F.D.J.-Verfassung und das kommunistische Manifest schicken?“ Soviel zum Ideal. In der Praxis erschrickt Reimann dann doch, – und dieses Erschrecken zieht sich durch ihre Texte. Als ein Mitschüler festgenommen wird, stellt sie fest, er sei nicht der einzige, auch in einer anderen Schule habe man... Und sie schreibt: „Siehst Du – und da ist in mir was kaputtgegangen. Ein Glaube, wenn Du es so nennen willst.“
Brigitte Reimann: „Aber wir schaffen es, verlaß dich drauf“. Herausgegeben von Ingrid Krüger, mit einer Nachbemerkung von Veralore Schwirtz, Elefanten Press, 185 Seiten, 32 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen