: Probeweise bis zum GAU
Verwaltungsgericht kassiert Dauerbetriebsgenehmigung für das AKW Obrigheim / SPD-Umweltminister sieht keinen Anlaß zur Stillegung ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die erst 1992 erteilte Dauerbetriebsgenehmigung für das Atomkraftwerk Obrigheim am Donnerstag aufgehoben. Bündnis 90/ Die Grünen, Greenpeace und der BUND verlangten noch am selben Tag, den Altmeiler endlich abzuschalten, der schon seit 24 Jahren nur im sogenannten „Probebetrieb“ Strom liefert. Das tut er auch jetzt wieder, der Stuttgarter Umweltminister macht es möglich.
Der zuständige Stuttgarter Wirtschaftsminister, Dieter Spöri (SPD), hatte den Dauerbetrieb des ältesten Atomkraftwerks in Deutschland vor drei Jahren auf Empfehlung seines Genossen Harald B. Schäfer aus dem Umweltressort genehmigt. Die beiden bekennenden Atomkraftgegner, die zuvor von den harten Oppositionsbänken aus regelmäßig die Stilllegung des Veteranen aus dem Jahr 1968 mit der wohl skurrilsten Genehmigungsgeschichte aller Atomanlagen im Lande gefordert hatten, beriefen sich seinerzeit auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin. Das hatte zuvor höchstrichterlich den Weiterbetrieb des umstrittenen 350-Megawatt-Druckwasserreaktors auf der Grundlage einer Genehmigung für den „Anfahr- und Probebetrieb“ von 1968 gestattet, gleichzeitig aber verlangt, die zuvor über zwei Jahrzehnte lang versäumte Genehmigung des Dauerbetriebs nachzuholen.
Schäfer kam der Bitte umgehend nach. Die AKW-Gegner im Ländle stöhnten auf, die Atomlobby kompromittierte den frisch gebackenen Umweltminister mit Lobeshymnen.
Der VGH Mannheim, höchstes Verwaltungsgericht in Baden- Württemberg, begründet seine Entscheidung damit, daß die Genehmigungsbehörde mögliche Risiken, die vom Betrieb des Altmeilers ausgingen, nicht ausreichend beachtet habe. Recht bekamen damit Anwohner und die Stadt Heidelberg, vertreten durch den Marburger Anwalt, Peter Becker.
Trotzdem will die Stuttgarter Landesregierung den technisch veralteten Skandalreaktor offenbar ohne Dauerbetriebsgenehmigung weiterlaufen lassen. Schäfers Pressesprecher reagierte auf die Frage, ob nun die Stillegung bevorstehe, mit den Worten: „Ach, Quatsch!“ Und Dieter Spöri verstieg sich zu der Aussage, es hätten sich bei der umfassenden Bewertung des Sicherheitszustandes der Anlage keine Bedenken ergeben.
Die Behauptung ist nachweislich falsch. Schäfer hatte die Dauerbetriebsgenehmigung im Oktober 1992 nämlich nur auf Widerruf erteilt und sie mit einer Reihe von Auflagen garniert. So sollten die Reaktorbetreiber bis spätestens 31. Dezember 1993 schlüssig nachweisen, daß die wichtigsten Komponenten des Reaktors einen sicheren Betrieb weiterhin zuließen.
Zentral geht es um die „Sprödbruchsicherheit“ des Reaktordruckbehälters, an der wegen des Dauerbombardements mit Neutronen erhebliche Zweifel bestanden. Schäfer schaltete drei Gutachter ein: Den TÜV Südwest, der von Anbeginn den Reaktor in Obrigheim begutachtet und in freundlichem Einvernehmen mit der Genehmigungsbehörde mit Persilscheinen ausgestattet hatte, die Atomkritiker des Ökoinstituts in Darmstadt und schließlich die der AKW-Gegnerschaft bisher nicht verdächtige Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) in Berlin. Ende letzten Jahres wurden die Zwischenberichte der Gutachter, die bereits alle für eine Entscheidung notwendigen Ergebnisse enthielten, öffentlich: Ökoinstitut und BAM kamen darin übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß der „Sprödbruchsicherheitsnachweis“ für den Reaktordruckbehälter nicht geführt sei und nachträglich auch kaum mehr geführt werden könne. Am 16. Dezember 1994 erklärte das Stuttgarter Umweltministerium: „Kein Gutachter, auch nicht der TÜV Südwest, sieht die Nachweisauflagen von KWO (Kraftwerk Obrigheim, Red.) als erfüllt an.“ Daran hat sich bis heute, trotz einer Serie von Fachberatungen zwischen Gutachtern, Genehmigungsbehörde und Betreiber, nichts geändert. Die von Schäfer gesetzte Frist zur Erfüllung seiner Auflagen ist seit über 15 Monaten verstrichen.
Aber auch nach dem Spruch des VGH Mannheim hat die Stuttgarter Regierung in dieser Aktenlage immer noch kein Problem der atomaren Sicherheit entdeckt. Spöri und Schäfer („ein weinendes und ein lachendes Auge“) wollen vielmehr gegen das Urteil erneut beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin in die Revision gehen, um, wie es heißt, die entstandenen Rechtsunsicherheiten zu klären. Die Grünen beantragten eine aktuelle Debatte im Landtag.Kommentar auf Seite 10
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