: Erinnerungs-Wege
■ Neue Straßen in Burgwedel erinnern an den Kindermord vom Bullenhuser Damm Von Claudia Hönck
Kleine Wohnstraßen sind es, und zentral liegen sie auch nicht gerade, aber immerhin: Morgen vormittag wird in einer Feierstunde in Burgwedel offiziell der zweite Teil der „Straßen für die Kinder vom Bullenhuser Damm“ eingeweiht zum Gedenken an jene 20 fünf- bis zwölfjährigen Jungen und Mädchen, die am 20. April 1945 in einem Keller in Rothenburgsort von Nazis umgebracht wurden.
Bereits vor zwei Jahren waren in einem Festakt die ersten Straßenschilder mit den Namen der jüdischen Kinder in dem Schnelsener Neubaugebiet angebracht worden. Die Initiative dazu war vom Hamburger Schriftsteller Günther Schwarberg, der das Schicksal der Kinder in einem Buch aufgearbeitet hatte, und dem Verein „Kinder vom Bullenhuser Damm“ ausgegangen, das Ortsamt Lokstedt hatte sich – im Unterschied zu anderen Hamburger Stadtteilverwaltungen – aufgeschlossen gezeigt. Der Roman-Zeller-Platz oder der Jaqueline-Morgenstern-Weg zum Beispiel erinnern nun an ein besonders erschütterndes Kapitel des Faschismus in Hamburg. In Anwesenheit von Angehörigen der Kinder sowie des israelischen Botschafters Avi Primor wird morgen unter anderem die druckfrische Broschüre „Die Kinderstraßen“ von Günther Schwarberg vorgestellt und anschließend an alle Einwohner der betreffenden Straßen verteilt. Andere Interessierte können das Heft im Einwohnermeldeamt bekommen.
Die 20 Kinder waren von Ende November 1944 bis zu ihrem Tod im KZ Neuengamme Opfer medizinischer Experimente. In einer abgeschirmten Extra-Baracke wurden ihnen vom Nazi-Arzt Kurt Heißmeyer Tuberkelkulturen in die eingeritzte Haut gerieben, einigen spritzte er Tuberkel-Lösung direkt in die Lungen. Heißmeyer wollte so eine Methode zur Heilung von Tuberkulose erproben – obwohl seine entsprechenden Theorien schon damals als falsch galten, wurden ihm die Menschenversuche genehmigt. Mitte Januar 1945 begann für die mittlerweile schwer erkrankten Jungen und Mädchen aus Polen, Frankreich, Jugoslawien, Italien und den Niederlanden die zweite Tortur: Ihnen wurden die Lymph-drüsen unter den Armen herausoperiert, um diese besser untersuchen zu können. Einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Kindern und Versuchstieren habe er nicht gesehen, sagte Heißmeyer später vor Gericht.
Als am 20. April 1945 die Engländer nur noch wenige Kilometer von Hamburg entfernt waren, fiel das Todesurteil. Die Spuren der medizinischen Experimente sollten verwischt werden. Zusammen mit vier Pflegern und Ärzten sowie 24 sowjetischen Häftlingen wurden die Kinder im Heizungskeller der Schule am Bullenhuser Damm in Rothenburgsort – die wenige Tage zuvor noch ein Häftlingslager war und von Arnold Strippel verwaltet wurde – von SS-Leuten aufgehängt.
Kurt Heißmeyer konnte noch 20 Jahre unbehelligt als Arzt in Magdeburg praktizieren, bis ihn 1966 ein DDR-Gericht zu lebenslanger Haft verurteilte. Arnold Strippel mußte sich erst sehr viel später vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Das Verfahren wurde 1987 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten eingestellt.
Die Schule am Bullenhuser Damm 92 heißt mittlerweile nach dem Kinderarzt und Pädagogen Janusz Korczak, der 1942 in Polen mit seinen jüdischen Schützlingen freiwillig in den Tod ging. In ihr erinnern eine Gedenkstätte sowie ein Rosengarten an die Kinder. Hier findet morgen um 18 Uhr die zentrale Gedenkveranstaltung für die jungen Faschismus-Opfer statt.
Freitag abend um 20 Uhr führen im Theater in der Kunsthalle sieben Frauen des Alten-Theaters im Rahmen des Thalia-Treffpunkts das Schauspiel „Die Kinder vom Bullenhuser Damm“ auf. Mit dem Film „Hiobsbotschaft“ von Ottokar Kunze (Sonntag, 23. April, 12 Uhr) trägt das Ottenser Zeise-Kino zu den Gedenkveranstaltungen bei. Am kommenden Montag schließlich widmet sich Michael Grill in einem Dia-Vortrag dem Thema „Kinder und Jugendliche in Hamburger Konzentrationslagern“ (19.30 Uhr, Janusz-Korczak-Schule). Geführte Besichtigungen der Gedenkstätte in der Schule werden zudem am Sonntag, den 7. Mai, sowie am Sonntag, den 4. Juni jeweils um 14 Uhr angeboten.
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