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Schenkelklopfend Demos memorieren

Ein 68er auf dem Weg zum roten Großvater: „Zettel“ von Klaus Pohl im Hamburger Thalia Theater, ein Stück über investigativen Loser-Journalismus und gefaseltes Scheitern  ■ Von Kai Voigtländer

Wilhelm Zettel ist ein Witz. Ein WiZ, genauer gesagt, denn W-i-Z, das ist sein Namenskürzel. Seit siebzehn Jahren Lokalreporter in Ostholstein, im „Bermudadreieck Ratzeburg-Eutin-Lübeck“. Wo die Welt ganz klein ist, da jagt Zettel seine Geschichten. Zettel klettert auf jeden Kamin Norddeutschlands, Zettel stellt den Bettenschlitzer. Er schreibt über den Stadtindianer, der auf seiner Parkbank zusammengeschlagen wird, er redet mit den Neonazis, die das örtliche Asylbewerberheim niedergebrannt haben.

Lokalreporter Zettel hat den langen Marsch durch die Hühnerställe angetreten. Er sitzt in der Provinzfalle und verliert doch nie den großen Zusammenhang aus den Augen. Die permanente Kulturrevolution perlt ihm noch immer von den Lippen, und dann die Erinnerungen: Stammheim! Die RAF! Die großen Demos! Die verpaßten Gelegenheiten! Der Spiegel wollte ihn – Zettel wollte nicht zum Spiegel („Archivjournalismus! Beamte!“); der Stern, Ressort Deutschland zwo, leckte sich die Finger nach ihm („Hofberichterstattung!“); und auch die nette Zeitung, die Sie gerade lesen, verzehrte sich nach Zettels Geschichten: „Die taz wollte mich haben! Soll ich über die Brutgewohnheiten der Graureiher schreiben?“

Wilhelm Zettel – das ist der Achtundsechziger auf dem Weg zum roten Großvater. In Hamburgs Thalia Theater ist das über weite Strecken ein Solo für Wolf- Dietrich Sprenger. Komisch ist das schon, wie er schenkelklopfend die Demo-Schlachten vergangener Tage memoriert, wie er wodkaselig schwankt zwischen Größenwahn und Depression. Aber neben Sprengers vitalem Komödiantentum, das selbst der Flachfigur eines Wilhelm Zettel noch Tiefenschärfe abgewinnt, steht der Rest des Ensembles wie Pappfiguren auf der Bühne herum.

Der Achtundsechziger, will uns der Herr Pohl offenkundig sagen, er ist ein notorischer Aufschneider. Wer hätte es gedacht! Ein fahriger Jammerlappen ohne Ich- Stärke, der langsam ergraut. Impotent ist er auch, eigentlich immer gewesen, ein wenig ist er schon vom Modergeruch des starrsinnigen Greises umflort, und den richtigen Biß hat er auch verloren: gerade erst hat sich Zettel einen Schneidezahn abgebrochen.

Das kleine orale Defizit ist ein großes Problem. Denn in seinem Vorgarten sitzt Vera Zislovski – vor 23 Jahren hatte er mal eine Studentenaffäre mit ihr, von der ihm ein Schuhkarton mit Briefchen auf blauem Papier geblieben ist. Auch Vera ist Journalistin geworden, aber sie spielt in einer anderen Liga. Im Auftrag der BBC dreht sie ein Feature über die Deutschen nach der Wende, Arbeitstitel Planet Germany („Eine Reihe von Einzelporträts. Bürgermeister. Putzfrau. Direktor. Deutsche Szenen. Sogar 'n Schäfer hab' ich“). Ihrer Studentenliebe Zettel hat sie die Rolle des Stinktiers zugedacht, der dem deutschen Spießer die Maske vom Gesicht und so weiter und so weiter. Die große Hildegard Schmahl müht sich redlich, diesem Konstrukt der toughen Karrierefrau Züge eines lebendigen Wesens abzugewinnen – in vain, wie der Brite sagt.

Dabei ist die Konstellation nicht ohne Reiz: Aus der Fallhöhe zwischen Erfolg und Scheitern, zwischen resignativ-trotzigem Provinzlertum und stets vom Absturz bedrohter Fernsehkarriere ließen sich sprühende Funken schlagen, wenn die Bilder, mit denen die beiden sich den Blick aufeinander verstellen (hier: armer Poet, dort: Weltkarriere) denn irgendwann einmal Risse bekommen dürften. Nichts davon bei Klaus Pohl. Hier bleibt alles schön p.c.: Zettels Sohn David klopft erwartbare Sprüche, und sein Widersacher, der fette Zahnarzt Gil, ist ein wahres Multimonster, als angepaßter Verleger, als potenter Lover von Zettels Gattin und als Immobilienspekulant, der das letzte Kino Ratzeburgs für ein, natürlich, ein Einkaufszentrum schleifen lassen will. Premierenjournaille und Schampussociety amüsierten sich wie Bolle über gut plazierte Sottisen gegen den eigenen Berufsstand. Kaum vorstellbar allerdings, daß sich jemand aus dem wirklichen Leben für „feuilletonistische Schmonzettchen“ dieser Art interessiert.

Eine Generation, hochgemut gestartet, wird müde und grau in den Ebenen des Alltags – und faselt sich über ihr Scheitern hinweg. Was für ein Thema, was für ein Stoff! Aber Ratzeburg ist kein russisches Landgut und Klaus Pohl kein deutscher Tschechow. Natürlich ist die Tragik, die hinter dem Scheitern vorscheint, komisch. Aber diese Komik entsteht aus einer Trauer, der ein Autor wie Pohl keinen Raum läßt. Der linke Spießer wird zum Ablachen freigegeben. Ein trauriger Witz, das Ganze. Stück schlecht, Sprenger gut, und der Rest des Ensembles kann einem leid tun.

„Zettel“ von Klaus Pohl, Regie: Klaus Pohl, mit Wolf-Dietrich Sprenger. Hamburger Thalia Theater, 27.4. und 9., 15., 20./21.5.

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