: „Auge um Auge ist abgeschafft“
■ Für die Reform: Wolfgang Wieland, Bündnisgrüner und Vorsitzender des Republikanischen AnwältInnenvereins
taz: Bündnis 90/Die Grünen fordern seit langem die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Wieso ist das so schwer durchzusetzen?
Wolfgang Wieland: Weil die meisten, bedingt vor allem durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1977 und die Einfügung des Paragraphen 57a Strafgesetzbuch, den Eindruck haben, daß die lebenslange Freiheitsstrafe sowieso nicht existiert. Die suggestive Wirkung des Paragraphen 57a, der ja die Möglichkeit einer Entlassung nach einer Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren regelt, wird als Ausrede benutzt, um an dem Grundsatz der lebenslänglichen Freiheitsstrafe festzuhalten.
Was sagt man gegen das Argument, daß „lebenslänglich“ zumeist eine zeitliche Freiheitsstrafe ist?
Zum einen kann es lebenslänglich sein, denn wer sagt mir, daß ich nach 20 Jahren noch lebe? Ein wesentliches Problem ist vor allem die Unbestimmtheit der Straflänge. Wissenschaftler haben festgestellt, daß die kritische Grenze für irreparable Schäden bei 10 bis 15 Jahren liegt. Wenn dem Gefangenen in seinem Urteil bescheinigt wird, daß er eine besonders schwere Schuld auf sich geladen hat, dann ist für ihn der Entlassungszeitpunkt vollkommen vage. Dadurch wird die notwendige Voraussetzung für die Resozialisierung unterspült, wonach der einzelne sich vorstellen können muß: Dann und dann werde ich mich wieder normal bewegen können. Das Verdikt „du wirst in der Anstalt sterben“ sollte es nicht mehr geben.
Was antwortet man jenen, die sagen: Ich möchte, daß die Tötung meines Mannes, Freundes, Kindes gerächt wird?
Denen ist klarzumachen, daß der Rechtsstaat diese Art der Rache nicht kennt. Das ganze Strafverfahren beruht darauf, daß die Strafverfolgung aus der Sphäre des Individuums herausgenommen wird und von der Gesellschaft, von nicht beteiligten staatlichen Instanzen übernommen wird. Das ist eine Weiterentwicklung, die ja auch dazu geführt hat, daß die Todesstrafe als direktes Auge um Auge, Zahn um Zahn abgeschafft worden ist. Auch wenn die lebenslängliche Freiheitsstrafe abgeschafft wird, wird es noch eine harte Bestrafung geben. Aber eine zeitlich befristete, die Klarheit für den Betroffenen schafft.
Muß der ganze Mordparagraph gestrichen werden?
Wegen der Definition „Mörder ist, wer...“ halte ich den Paragraphen 211 für unsystematisch. Mit dem Festschreiben einzelner Mordqualifikationen kann er nicht überzeugen und ist auch in der Laiensphäre nicht verankert. Ich bin der Ansicht, daß es einen einheitlichen Straftatbestand der vorsätzlichen Tötung geben sollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen