: Unbehagen im sozialen Käfig
■ "Frühstück und andere Delikatessen" zeigt "Cagehomes" wie in Hongkong
Ein leergegessenes Plastikschälchen „Asia Instant Soup“ auf einer Bastmatte. Daneben Eßstäbchen, ein Teeservice aus chinesischem Porzellan, Zahnbürste, Seife und eine zerwühlte Decke. Alles in einem Käfig mit einer Grundfläche von gerade mal Matrazengröße und einer Höhe von 90 Zentimetern: Dies ist ein „cagehome“, eine Behausung, wie sie Tausenden armer und alter Menschen in Hongkong als Wohnstätte dient.
Sechs solcher Käfige, in Zweiergruppen übereinandergestapelt und von schmalen Gängen getrennt, präsentiert derzeit der Bremer Künstler Piet Schnabel in seiner Installation „Frühstück und andere Delikatessen“ in der Bremerhavener Galerie „149“.
Eingerichtet mit wenigen persönlichen Gegenständen, löst jede dieser 1,8 qm großen „Etagenwohnungen“ unwillkürlich eine intensive Vorstellung von ihrer jeweiligen Bewohnerin aus. Ein Gefühl zwischen Abwesenheit und Präsenz, gerade so, als hätten die „cagepeople“ eben erst ihre Käfige verlassen und könnten jederzeit zurückkehren, wie etwa der Bauarbeiter, den man durch Plastikhelm und Turnschuhe mit einem der Käfige assoziiert, während gegenüber eine Näherin zu wohnen scheint.
Der Eindruck des mitten in seiner Turbulenz wie schockgefrorenen Lebens, den Piet Schnabels Käfige aus Baustahl- Matten mit ihrem naturalistischen Interieur erzeugen, erinnert an die Environments eines Edward Kienholz. Wie bei diesem erlebt man in der Bremerhavener Ausstellung eine Mischung aus Beklemmung und Distanz, die zum Nachdenken zwingt, weil man das schwebende Vakuum dieses Hyperrealismus kaum erträgt. Und wie Kienholz' Exponate in den Museen häufig von erklärenden Tafeln begleitet sind, liefert auch Schnabel eine schriftliche Interpretationshilfe mit, die über die „cagehomes“ des realen Hongkong Auskunft gibt: Auf Nesselstoff gedruckt geben sechs eisengerahmte Tafeln an den Wänden der Galerie den Text einer taz-Reportage wieder. Deren Lektüre nämlich regte den Künstler zu dieser Installation an, die er ursprünglich ganz anders geplant hatte. Typisch für Schnabel ist dabei, daß er sein Ausstellungskonzept – in diesem Fall sollte es eigentlich ein Flüchtlings-Zeltlager sein – bis zum letzten Moment offen läßt und oft kurz vor der Eröffnung mit einem völlig neuen Projekt in der jeweiligen Galerie aufkreuzt. Diese Weigerung, sich festzulegen, ist nicht nur für die betroffenen Galeristen, sondern auch für die Besucher seiner Ausstellungen äußerst irritierend. Bekommt man doch – wie auch hier wieder – meistens ganz andere Objekte zu sehen, als die in Titel und Einladung angekündigten (was den Bremerhavener Galeristen schon deswegen ärgerte, weil Schnabel hier nichts Verkaufbares liefert).
Das allerdings interessiert den Künstler überhaupt nicht. Denn an einer stringenten Werkgeschichte liegt ihm weniger als an einer spielerischen Umsetzung dessen, was seine aktuelle Wahrnehmung der Welt gerade bestimmt. Ein Subjektivismus, dessen Grenze zum Zufälligen kaum definierbar ist. Das Resultat können dann durchaus Werke sein, die eine problematische Nähe zu bloßen Designobjekten aufweisen (aber für Galeristen wenigstens verwertbar sind). Manchmal sind es aber auch so stimmige Konzepte wie die „cagehomes“, deren gesellschaftspolitischer Ansatz ohne jegliche Pädagogisierung auskommt. Stattdessen spielt Piet Schnabel lieber mit dem Unbehagen, das man als Betrachter, der wie in einem Zoo präsentierten sozialen Not empfindet: In einem der Käfige verweist ein Kalender mit deutschen Landschaftsfotos fast augenzwinkernd darauf, daß ähnliche Verhältnisse auch uns in Zukunft drohen könnten.
Moritz Wecker
Galerie 149, Bürgerm.-Smidt-Str. 149, Bhv, bis 11. Mai.
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