: Genug scheußliche Tapete
Kunst, Foto, Dekor: Louise Lawlers „A Spot on the Wall“ im Münchner Kunstverein, eine Exkursion quer durch die Kunstgeschichte ■ Von Gilla Lörcher
Die amerikanische Fotografin Louise Lawler (Jahrgang 1947) scheint von einem ausgesprochenen Faible für die Werke ihrer Kollegen getrieben zu sein. Selbst in ihrer Einzelausstellung im Münchner Kunstverein zeigt sie nichts anderes. Das Ganze erscheint dort wie eine erratische Exkursion quer durch die Kunstgeschichte: vorbei an Giovanni Bellini, Ferdinand Hodler, Roy Lichtenstein und Andy Warhol.
Ob die Gemälde und Skulpturen ihr persönlich gefallen, ist jedoch nebensächlich für die Auswahl. Für Lawler gilt nur ein Kriterium. Und die Künstler, deren Werken sie sich adaptierend durch Fotos annimmt, erfüllen es alle: Sie sind im Kunstdiskurs von der Renaissance bis zur Moderne erfolgreich gewesen und teuer. Lawler ist nicht an den Kunstwerken, sondern an ihrer gesellschaftlichen Funktion und jenem hochkomplexen Zusammenspiel interessiert, das aus der künstlerischen Arbeit ein Prestigeobjekt oder eine Kapitalanlage werden läßt.
Lawlers farbbrillante Fotografien geben „situations trouvées“ wieder. Sie fotografiert Kunstwerke, wie und wo sie ihr begegnen. Mehr oder weniger zufällig also: in der guten Stube des Sammlers, bei den Vorbesichtigungsterminen hochrangiger Auktionshäuser oder im Lager des Galeristen. Fern vom Ringen um eine sachliche Werkdokumentation, kommt auch die Umgebung, in die das Kunstwerk gebettet ist, auf dem Foto nie zu kurz. Häufig hält Lawler nur ein Fragment des Gemäldes fest. So kann es vorkommen, daß wir zwar nur noch einen schmalen Rand eines Pollock sehen, dafür genug von der scheußlichen Tapete und vor allem viel von der hindrapierten antiken Porzellanterrine daneben. Auf Lawlers Fotos drängen sich mal drei Kunstwerke auf engstem Raum um einen Kamin, mal werden sie halb vom Fernseher, dann vom ausladenden Lampenschirm verdeckt.
Wie sehr Louise Lawler an der voyeuristischen Position der BetrachterInnen gelegen ist, beweist sie an der Art, wie sie ihre „Paperweights“ präsentiert. Auf schlanken Podesten thronen die gläsernen Halbkugeln leicht erhöht, so daß man sich schon sehr über sie beugen muß, damit das Glas den Blick auf ein eingelassenes kreisrundes Farbfoto freigibt.
Zwölf solcher Briefbeschwerer hat die Künstlerin in Zweierreihen arrangiert, links an der Wand finden sich, Bildlegenden entsprechend, aufschlußreiche Texte zu den einzelnen Glasansichten. Man erfährt den Namen des Künstlers, das Herstellungsjahr und neben dem Titel der Arbeit auch ihren derzeitigen Besitzer. Bei einem Bild finden wir zudem die Biographie der Arbeit selbst – eine sehr lange Liste derer, an die der Galerist Leo Castelli das betreffende Werk in den vergangenen Jahren entliehen hat.
Einerseits funktioniert Lawlers Arbeit über Aneignung von Kunstproduktion durch die Fotografie, andererseits zielt sie damit jedoch nicht auf die bloße Sichtbarmachung dieser Werke. Ohne die aufgenommenen Kunststücke zu bewerten oder zu kommentieren, löst sie deren Käufer- und Museumskontexte auf, indem sie gleichberechtigt die Elemente zeigt, die deren Umgebung ausmachen. Lawler ist es, die dem abgebildeten Kunstwerk so einen neuen Rahmen gibt, es in eine neue Komposition einfügt.
Louise Lawler ist als Autorin ihrer Arbeiten keineswegs zurückgenommen. Einerseits stellt sie die Präsentation von Kunst in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, andererseits thematisiert sie die prosaischen Mechanismen des Kunstmarkts. „Who chooses the details?“ werden wir hier gefragt. „Does it matter who owns it?“ dort. Doch bei all dem bewegt sich Lawler selbst auf der Ausstellungsebene – und das nicht mal besonders distanziert. Ihre Arbeiten durchlaufen genau die gleichen Instanzen der Bestätigung, des Verkaufs und der Präsentation. Sie sind nicht minder ein Teil des Kunstbetriebes. Auch sie haben ihren Marktwert und werden letztlich im Museum enden.
Weniger um das Dokumentieren hochkarätiger Kunstwerke geht es ihr als darum, zu zeigen, wie unser Sehen und unsere Aufmerksamkeit funktionieren. Lawler überwindet mit ihrem Ansatz die Hierarchien, die den Kunstwerken durch Würdigungs- und Distributionsinstanzen zuteil wurden. Jedem Detail der „situations trouvées“ kommt die gleiche Aufmerksamkeit zu.
Ob sie die Kunst vor der Ritualisierung gerettet habe, steht da als Frage formuliert an der zartblauen Wand. Egal, wer wo das Kreuzchen malt – die Ausstellung bringt es auf den Punkt.
„A Spot on the Wall“. Münchner Kunstverein. Bis 28. April
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