: "Mehr drauf als wir damals"
■ Ajax schließt mit einem 5:2 gegen Bayern an seine glorreiche Vergangenheit an
Amsterdam (taz) – Piet Keizer bestellte noch 'ne Runde und machte seine eigene Pressekonferenz. „Die haben mehr drauf als wir damals“, murmelte der ehemalige Ajax-Starlinksaußen, der mit seinem Verein 1969 zum ersten Mal in ein Europacup-Finale einzog. „Verglichen mit diesem System spielten Johan und ich fast so wie die Bayern heute. Mit Leuten wie Litmanen, Rijkaard und Kanu wäre ich gar nicht mitgekommen.“
Mit dieser präzisen Selbsteinschätzung brachte die technisch brilliante, aber behäbige Nummer 11 aus der bislang erfolgreichsten Periode der Vereinsgeschichte das Geheimnis hinter dem 5:2-Halbfinal-Erfolg gegen den FC Bayern auf den Punkt: Dreimal in Folge eroberte die hauptstädtische Equipe um Johan Cruyff in den Jahren 1971 bis 1973 die „Vase mit den großen Ohren“. Im diesjährigen Endspiel am 24. Mai in Wien jedoch tritt eine Mannschaft an, die nicht nur bestechenden Angriffsfußball zelebriert, sondern auch in der Lage ist, mit großem Vertrauen in das eigene Können Rückschläge wegzustecken.
In der diesjährigen Champions League gestattete sich Ajax in zehn Spielen nur vier Gegentreffer. Zwei davon erzielten im Olympiastadion zu Amsterdam die Münchner Bayern, die zwar selten den Angriff suchten, aber vor allem in der zweiten Halbzeit Konzentrationsmängel der jungen Ajax-Spieler sanktionierten. Insbesondere den gelegentlichen Fehlern des rechten Verteidigers Michael Reiziger war es zu verdanken, daß die Bayern kurzzeitig hoffen durften.
Dennoch war der ersatzgeschwächte deutsche Rekordmeister völlig chancenlos. Einzig und allein der quirlige Mehmet Scholl brachte den späteren Sieger und vor allem den doch arg langsam werdenden Frank Rijkaard öfters in Bedrängnis. Mit einer präzisen Flanke bereitete Scholl das 1:1 durch Witeczek vor, erzielte selbst per Handelfmeter das 2:4 und vergab schließlich noch eine gute Chance zum 3:4. Hätte Ajax-Kapitän Danny Blind für sein Handspiel im 16-Meter-Raum die rote Karte gesehen, die Bayern wären möglicherweise noch mal rangekommen.
Die Basis für den Sieg über den deutschen Erzrivalen legte Ajax im hundersten Sieg seiner Europapokal-Geschichte mit drei Toren innerhalb von sieben Minuten am Ende der ersten und Anfang der zweiten Halbzeit. Zuerst war es das Duett der beiden Angreifer Marc Overmars und Finidi George, die mit ihrem schnellen Kombinationsspiel unter Beweis stellten, daß Flügelstürmer im internationalen Fußball immer noch ihre Berechtigung haben: Auf Zuspiel von Overmars konnte Finidi George mit dem Außenrist aus 22 Metern seinen ersten Europacup- Treffer in Diensten der Amsterdamer verbuchen. Dann ein Eckstoß von Overmars, Nwankwo Kanu lenkt per Kopfball über sämtliche Bayern hinweg zum sträflich freistehenden Ronald de Boer – und der Zwillingsbruder des zuschauenden Frank braucht sich die Ecke nur auszusuchen. Nur zwei Minuten nach Wiederanpfiff löste sich Jari Litmanen, der schon das 1:0 erzielt hatte, mal wieder von Markus Schupp, ließ sich von Kanu maßgerecht bedienen und holte aus für einen harten Schuß unter die Latte. Nach diesem 4:1 schalteten die Amsterdamer in gewohnt lässiger Manier den Rückwärtsgang ein, und die Bayern lieferten abermals den Beweis, daß gegen deutsche Mannschaften ein Spiel erst nach 90 Minuten gelaufen ist. Wirklich in Gefahr war der Sieg der rot-weißen Talentsschmiede jedoch nie. Und der für den schnell verletzt ausgeschiedenen Helmer eingewechselte Oliver Kreuzer mußte die technische Überlegenheit des Gegners anerkennen. Auf die Frage, was man von Ajax lernen könne, antwortete er: „Viel, viel Ballschule. Jeden Tag vier Stunden Ballarbeit.“
Zum dritten Mal trifft Ajax nun in einem Landesmeister-Cup-Endspiel auf den AC Milan. In der Gruppe verwies die jüngste Mannschaft der Meister-Liga den Titelverteidiger beide Male relativ mühelos mit 2:0 auf den zweiten Platz. Wie es heißt, hat Milan die latente Müdigkeit, die viele Nationalspieler nach der WM in den USA plagte, im Verlauf der Saison überwunden.
Ganz besonders dürfte sich Frank Rijkaard freuen. Nicht nur, daß er zum Abschluß seiner Karriere noch mal im wichtigsten Endspiel steht. Er trifft darüber hinaus in Wien auf den Verein, in dessen Reihen er zusammen mit Marco van Basten und Ruud Gullit die Höhepunkte seiner Laufbahn erlebte. Piet Keizer drückt ihm die Daumen. Er selbst hat so seine Erfahrungen mit Milan: Damals, 1969 in Madrid, wurden Keizer, Cruyff und Co. mit 4:1 eingeseift. Henk Raijer
Ajax Amsterdam: Van der Sar - Blind - Reiziger, Bogarde - Ronald de Boer, Rijkaard, Litmanen, Seedorf - George (88. Davids), Kanu (67. Kluivert), Overmars
FC Bayern München: Scheuer - Helmer (42. Kreuzer) - Kuffour, Babbel, Ziege - Frey, Schupp, Scholl, Nerlinger - Zickler (73. Sutter), Witeczek
Schiedsrichter: Puhl (Ungarn)
Zuschauer: 41.000 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Litmanen (11.), 1:1 Witeczek (36.), 2:1 George (41.), 3:1 de Boer (45.), 4:1 Litmanen (47.), 4:2 Scholl (76./Handelfmeter), 5:2 Overmars (89.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen