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„Hier ist alles marokkanisch“

In der besetzten Westsahara wird das Referendum über die Zukunft des Wüstenstücks immer wieder verschoben  ■ Aus Laayoune Thomas Dreger

Von weitem sehen sie aus wie zwei riesige Augen im Sand. Wie um ihrem Namen gerecht zu werden, begrüßt Laayoune (auf deutsch die Augen), die Hauptstadt der Westsahara, Ankommende mit zwei großen Parabolantennen. Die Lauschinstrumente, die aussehen, als würden sie das Trapsen jeder Springmaus registrieren, sind flach über dem Boden in Richtung auf den östlichen Horizont gerichtet. Dort, rund 500 Kilometer weiter, im algerischen Tindouf, sitzt die Frente Polisario, jene Organisation, die die seit 1975 von Marokko besetzte Westsahara zum unabhängigen Staat erklären will. Unter der Erde zwischen den beiden Orten liegen Phosphatvorkommen, die Marokko zum weltweit größten Anbieter des Rohstoffes machen.

„Die Sahara ist und bleibt ein Stück Marokkos“, hatten im Norden Marokkaner unisono bekundet. In dem Königreich ist keine Rede von dem in einem UN-Friedensplan vorgesehenen Referendum über die Zukunft des Wüstenstücks. „Die Polisario ist politisch und militärisch am Ende“, heißt es bei Royalisten wie Anhängern der legalen Opposition. Die über 100.000 in der Westsahara stationierten marokkanischen Soldaten scheinen sich dessen nicht so sicher zu sein. In einer Festung harren Hunderte von ihnen am Rand von Laayoune aus. Zinnen und Schießscharten verleihen dem Areal etwas von Ritterburg.

Laayoune ist mit Symbolen der „Marokkanität“ gepflastert: Fahnen des Königreichs sowie Bilder des Monarchen Hassan II und seiner beiden Söhne. Sogar Tankstellen und Apotheken heißen hier Al Wahda (Die Einheit), womit die der Westsahara mit Marokko gemeint ist. Wie in Marokko tragen Straßen und Plätze den Namen des marokkanischen Königs oder den seines verstorbenen Vaters und Amtsvorgängers Mohammed V.

„Referendum – welches Referendum?“ Der spanische Padre zieht die Augenbrauen hoch und lächelt. Durch den Spalt der Kirchentür ist an der Wand ein stilisierter gekreuzigter Jesus zu erkennen. „Das Referendum ist so schlecht vorbereitet, daß es fraglich ist, ob es überhaupt stattfinden kann. Und wenn – wer sagt, daß dann auch das Ergebnis akzeptiert wird?“ fragt der Endfünfziger im grauen Talar und mit einer Bibel in der Hand. Die jüngste Geschichte scheint dem Hirten von rund 60 in der Gegend verbliebenen Katholiken – zumeist SpanierInnen – recht zu geben. Der 1990 vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Friedensplan sah das Referendum ursprünglich für den Januar 1992 vor. Seitdem wird es immer wieder verschoben. „Schauen Sie sich doch um: hier ist alles marokkanisch“, erklärt der Padre. „In den knapp zwanzig Jahren der Besatzung haben die Marokkaner hier vollendete Tatsachen geschaffen. In der Region leben mittlerweile 300.000 Menschen, aber höchstens 100.000 stammen auch von hier.“ Die UNO sei gegen diese demographische Veränderung machtlos. Die Präsenz der „Minurso“ getauften und rund 300 Personen starken Blauhelmmission falle nur am Sonntag auf. Dann säßen einige der Friedensstifter im Gottesdienst.

1960 hatte Laayoune nur 5.700 EinwohnerInnen, heute sind es etwa 125.000. Die meisten kamen nach der Okkupation aus dem Norden. Weite Teile der Stadt sind Neubaugebiete. In den Hauptstraßen wirken die Gebäude gepflegt, aber in den Gassen rieselt der Putz. Umgerechnet 800 Millionen Mark hat Marokko nach eigenen Angaben in der Westsahara investiert (Kriegskosten ausgenommen). In Laayoune wurden 19 Schulen gebaut und ein moderner Tiefseehafen. Gute Gründe, das Gebiet nicht wieder aufzugeben.

Trotz marokkanischer Bestrebungen, Laayoune zur attraktiven Metropole einer „Provinz Sahara“ aufzumotzen, bietet das Leben in der Stadt kaum Attraktionen. Eine Unzahl von Parabolantennen an den Häusern läßt erahnen, wie sich die BewohnerInnen ihre Freizeit vertreiben. In den Abendstunden sieht man Männer in langen Galabiyas zu den Videotheken pilgern. Im Angebot sind Schwarzenegger, Van Damme und Kassetten mit Titeln wie „Sexcrime“.

In dieser Stadt Sahraouis, „echte“ BewohnerInnen der Westsahara zu finden, ist nicht einfach. „Die Straße Mohammed V.? Keine Ahnung, wo die ist, ich komme aus Casablanca“, entschuldigt sich einer: „Kommen Sie! Wir fragen jemanden, der von hier ist.“ Der auf französisch angesprochene Imbißverkäufer verzieht verständnislos das Gesicht und sagt etwas auf spanisch, angeblich ein untrügliches Indiz für einen Original-Sahraoui. Doch Pech gehabt: Der Mann kommt aus Tanger am nördlichsten Zipfel Marokkos. Auch dort waren mal die Spanier. In die Sahara ist er gekommen, weil „hier die Mieten niedrig sind und das Leben billiger ist.“

Am südöstlichen Rand der Stadt erstreckt sich ein großes Zeltlager. Tausende abgeschabte um zum Teil löcherige Zelte und einige provisorische flache Steinbauten. Dazwischen laufen Männer, Frauen und Kinder umher, holen Wasser aus aufgebockten großen Kanistern oder gehen zu den blaugestrichenen und übel riechenden, offenen Gemeinschaftstoiletten. „Camps der Einheit“ heißen diese Lager, die sich an den Rändern aller marokkanisch kontrollierten Städten der Westsahara erstrecken, im offiziellen Sprachgebrauch. Ihre BewohnerInnen kamen in Bussen aus dem Norden. Nach marokkanischer Darstellung sind sie Angehörige sahraouischer Stämme, die unter der spanischen Kolonialherrschaft nach Marokko abwanderten. Nach Ansicht der Polisario und unabhängiger BeobachterInnen handelt es sich um MarokkanerInnen, die für den Anschluß der Westsahara an das Königreich votieren sollen.

In den notdürftigen Unterkünften der Camps wird es in der Sommerhitze kaum auszuhalten sein. In Winternächten dürfte die manchmal bis unter den Gefrierpunkt abkühlende Luft unter die Zeltplanen kriechen. Die Lebensbedingungen in den „Camps der Einheit“ sind kaum attraktiver als in den Bidonvilles der marokkanischen Großstädte, aus denen zahlreiche der ZeltbewohnerInnen kommen. Warum sie sich auf diese Verhältnisse einließen, was ihnen versprochen wurde, ist vor Ort nicht zu ergründen. Zwischen den Zelten patrouillieren marokkanische Soldaten und Sicherheitskräfte in Zivil. Besucher werden mit der Erklärung, es handele sich um einen „privaten Campingplatz“, verscheucht.

Auf dem Dach des weiß blinkenden „Al-Massirah“ – einem Fünfsternehotel, in dem die meisten UN-MitarbeiterInnen nächtigen – flattern 76 grüne Sterne auf rotem Grund: die marokkanische Fahne. Über dem Eingangsportal hängt als metallenes Relief eine Darstellung des „Grünen Marsches“: jubelnde Menschen, die, mit großen marokkanischen Flaggen in den Händen, dem Besucher entgegenmarschieren. Jene 350.000 zum Großteil bettelarme MarokkanerInnen, die im November 1975 auf Geheiß ihres Königs in die Westsahara einmarschierten, werden so zu Freiheitskämpfern verklärt. Das Hotelgelände ist von einer mit Glasscherben gespickten Mauer umsäumt. Vor dem Portal verhindern marokkanische Polizisten den Zutritt. „Das Hotel ist von der UNO gemietet“, erläutert einer. Außer Minurso- Mitarbeitern und Hotelangestellten dürfe niemand das Gebäude betreten.

Das Erlebnis wiederholt sich vor dem Hauptquartier der Minurso. Über dem Gebäude weht die einzige UN-Fahne weit und breit, davor stehen zahlreiche Marokkaner. Für den Zutritt brauche man einen UN-Ausweis oder eine marokkanische Genehmigung, erklärt ein Uniformierter mit der Waffe im Anschlag. „Das hier ist eine politische Mission, deshalb ist sie so schwierig“, erläutert ein heimlich befragter UN-Angestellter. Intern kritisieren MitarbeiterInnen der Minurso, daß die marokkanischen Behörden praktisch eine Kontaktsperre zwischen ihnen und der Bevölkerung verhängt hätten. „Wir haben wahrscheinlich die intelligentesten Putzfrauen der Welt auf unseren Zimmern“, beklagt einer die ständige Überwachung. Die in den Lobbys herumlungernden marokkanischen Sicherheitsleute tragen zum Teil UN-Anstecker an den Revers. Sie verstehen zahlreiche Sprachen und sorgen dafür, daß jede Notiz gelesen wird, bevor sie im persönlichen Fach eines Hotelgastes verschwindet.

Auf die Frage, ob sie denn glaubten, daß das Referendum tatsächlich stattfinden werde, scheint man sich bei der Minurso in Laayoune auf kollektives Achselzucken geeinigt zu haben. „Warum nicht? – Wenn wir denn einmal mit den Vorbereitungen fertig sind“, sagt eine Palästinenserin. „Eines Tages werden wir diesen Ort vielleicht verlassen“, meint ein Norweger. „Bis dahin versuchen wir eine gute Zeit zu haben.“

An dem chronisch ausgetrockneten Oued al-Chatt geht die Stadt erst in eine Müllkippe und dann in die rötlich schimmernde Sandwüste über. Zwischen den Abfällen spielen Kinder, die ihre Heimat ungerührt als „marokkanische Sahara“ bezeichnen. Der von Hassan II forcierte Bau von Schulen erweist sich so als Investition in eine marokkanische Zukunft. An einigen Häusern sind Reste handgemalter Kandidatenlisten zu erkennen. 1993 ließ der König die MarokkanerInnen ein neues Parlament wählen. Der Urnengang half dem König international bei seinem Imagewandel vom Despoten zum Demokraten. Kaum beachtet wurde jedoch, daß die Wahl völkerrechtswidrig auch in der Westsahara stattfand.

In einer der staubigen Gassen von Laayoune wohnen die Eltern von Hassan und seine drei Schwestern. Mit 24 ist Hassan nur vier Jahre älter als die marokkanische Besatzung. An die Zeit vor dem „Grünen Marsch“ kann er sich nicht erinnern. Die meiste Zeit lebt er im marokkanischen Agadir, wo er studiert. In Laayoune wechselt er jedoch stolz die Jeans gegen sahraouische Tracht, und mit Inbrunst gießt er den Pfefferminztee solange aus einem halben Meter Höhe zwischen fünf Gläsern hin und her, bis das Getränk ganz schaumig ist: „Nur Sahraouis machen das so.“

Bevor er Fremde einlädt, versichert sich Hassan geflissentlich, daß diese nicht für die UNO arbeiten. Kontakte zur Minurso seien gefährlich, erklärt er: „Sahraouis, die bei der UNO waren, sind anschließend von marokkanischen Polizisten verhaftet und mißhandelt worden.“ Trotz seiner familiären Verbindungen nach Laayoune kann er sich nicht vorstellen, hier auf Dauer zu bleiben. „Das Leben hier ist nichts wert“, sagt er. Als angehender Jurist sieht er seine Zukunft eher in Marokko, das er nicht mag, oder auf den Kanarischen Inseln, die nur zwanzig Flugminuten entfernt sind, oder in den Golfstaaten, wo er Verwandte hat.

Hassans Vater ist 1974 von den Spaniern registriert worden. Für die Familie bedeutet das die Abstimmungsberechtigung beim Referendum. Wie fast alle „echten Sahraouis“ werde der Rest seiner Familie für die Unabhängigkeit stimmen, für eine „Republik Sahara“. Hassan ist sich nicht so sicher, wie er abstimmen würde. Die Marokkaner hätten auch Positives gebracht, erläutert er. So sei das Leben in der Westsahara aufgrund marokkanischer Bezuschussung derzeit viel billiger als im Norden: „In Laayoune kostet das Brot einen halben Dirham, im Norden zwei.“ Aus dem Königreich würde massenhaft frisches Gemüse und Obst in die Wüste geschafft, womit in einer „Republik Sahara“ sicherlich Schluß wäre. Trotzdem glaubt Hassan, daß ein unabhängiger Staat zwischen Marokko und Mauretanien wirtschaftliche lebensfähig sei. „Die Sahara ist sehr reich“, erklärt er. „Wir haben Erze und sogar etwas Öl. Schauen Sie sich Saudi-Arabien an: Das ist auch nur Wüste mit Öl und trotzdem ein Staat.“ Sorgen bereitet Hassan jedoch die traditionelle Stammesstruktur der sahraouischen Gesellschaft. „Die Besatzung eint die Sahraouis“, erklärt er. „In einer Republik Sahara werden Stammesrivalitäten wieder aufbrechen.“ Dann würde zwischen den großen Clans um die Vormacht und die Präsidentschaft gekämpft: „Die Leute werden auf ihre Abstammung pochen und andere als minderwertig beschimpfen.“ Im schlimmsten Fall könne das werden „wie in Ruanda.“

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