: Herrenmenschen in der Endzeitpanik
Die brutalen Morde der Kreisleitung 3 der NSDAP in der Markus-Schule, Steglitz, an sogenannten Fremdarbeitern, russischen Gefangenen und Kriegsgegnern sind trotz sofortiger Nachforschungen nach Kriegsende bis heute ungesühnt geblieben ■ Von Sabine Weissler
In den letzten Apriltagen wurden in der Markus-Schule, Karl- Stieler-Straße in Steglitz, Menschen erschossen und in Gruben verscharrt. Die Zahlen schwanken zwischen 80 und 180. Der politisch verantwortliche Kreisleiter war zu dieser Zeit Scheer. Zur Kreisleitung gehörten ein Kreisorganisationsamt, eine Kasse und sogar ein Kreisgericht, die ganze NSDAP- Welt im Kleinen. Es gab Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es wurde befohlen und ausgeführt.
Die Exhumierungen der Gräber, die am 5. und 6. Juni 1945 von russischen Offizieren, der Kriminalpolizei, der zuständigen Oberstaatsanwältin Hilde Benjamin und dem zuständigen Amtsarzt Walter Seitz durchgeführt wurden, deckten Morde an Menschen völlig unterschiedlicher Herkunft auf. Es befand sich der stellvertretende Zugführer eines Volkssturmzuges, Herbert Lessing, unter ihnen, eine nicht identifizierbare Frau in einem blauen Kleid (wahrscheinlich eine sogenannte Fremdarbeiterin), der Steglitzer Konditor Eberhard Köppler, unbekannte russische Soldaten, Vater und Sohn Ettlich aus Steglitz, der russische Offizier Pawleff Wetjeslaw und Otto Bahn, ebenfalls aus Steglitz.
Die Todesursachen waren unterschiedlich, Genickschüsse, Herzschüsse, teilweise durch die Luftröhre oder durch Einwirkung von stumpfen Gegenständen. In dem amtsärztlichen Gutachten heißt es: „Nur ein Teil der Genickschüsse ist exakt ausgeführt. Bei dem anderen Teil sind die Schüsse vermutlich nicht genau in einer ruhigen Exekution abgegeben worden, sondern die Tötung erfolgte in Hast.“
Die Wahllosigkeit der Opfer wirft ein Licht auf die Endzeitpanik, in der sich die Herrenmenschen der Kreisleitung 3 in Steglitz befanden, als der russische Geschützdonner schon längst aus der Nähe zu hören war, als Teile Berlins bereits besetzt waren. In den Momenten der Gewalt waren sie auf ihrem Schulhof noch mal Herrscher über Leben und Tod, unbesiegt und unbesiegbar. Wer daran auch nur den leisesten Zweifel hegte, dem wurde hier wie an andern Orten als Defätist, als Wehrkraftzersetzer oder auch nur als Schlappschwanz kurzer Prozeß gemacht.
Nach der Exhumierung wurden die Leichen auf dem Friedhof Bergstraße bestattet, die Angehörigen wurden informiert. Die russischen Soldaten, eine Soldatin war auch unter ihnen, wurden zum russischen Friedhof auf dem Parkfriedhof Lichterfelde gebracht. Die beteiligten Kriminalpolizisten werden Ermittlungen geführt haben. Öffentlich wurde nichts mehr, bis 1958 der Steglitzer Dieter Sternweiler den Fall in Erinnerung rief. Bis heute wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Eine Tafel zur Erinnerung an die Erschießungen wurde erst 1985 an dem Gebäude angebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen