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Alligatoren im Türkenbad

Im Budapester Jugendstil-Hotel ist man um den Glanz alter Tage wenig bemüht – nur die Homoerotik knistert noch im dampfenden Kellerbad, wenn der Masseur Hand anlegt  ■ Von Tomas Niederberghaus

Etwa dreißig Männer liegen wie Alligatoren im Wasser. Hungrig. Aufmerksam. Angriffslustig. Nackt. Vor ihren Lenden tragen sie weiße Schürzchen; phallische Konturen zeichnen sich ab. Scheinbar unauffällig und doch gezielt steuern sie auf ihre Opfer zu. Blicke schießen wie Lichtstrahlen über die Wasseroberfläche. Hände streichen an fremden Beinen entlang, prüfen die harte Ausbeute. Die Luft ist feucht und muffig. Ein fettleibiger Herr durchkreuzt das Bad. Es ist der Masseur. Unter seinen Pranken wird jeder Körper schwach: Im Nebenraum, wo die Gäste wie Tote aufgebahrt sind, balsamieren und gleiten seine Finger über die fremde Haut. Beginnen im Nacken, fahren langsam den Rücken bis zum Po hinunter, um dann Oberschenkel und Waden zu bearbeiten. „Ist es gut so?“ fragt er einen dunkelhaarigen Mittzwanziger, während der Durchgewalkte leise, aber lustvoll stöhnt. Er ist schon bestens durchblutet, schimmert rosarot. Minuten später beginnt die Prozedur erneut, diesmal von vorn.

Dem Bad im Vorraum entsteigen zwei junge Männer. Sie ziehen sich zurück zu den hölzernen Ruhekabinen, die im ersten Stock einen quadratisch angelegten Balkon säumen. Weiße Gardinchen dienen als Sichtschutz, eine schmale Pritsche lädt zum Schlummern ein. Kein Ort für Sex, eigentlich. Doch für 300 Forint Schmiergeld drückt der Aufseher im Gellert-Hotel schmunzelnd ein Auge zu. So ist es im türkischen Bad. „Manchmal“, weiß Adrian Orosz, „geht's auch gleich ins Hotelzimmer.“ Der 24jährige Rumäne wohnt mit seinem genau vierzig Jahre älteren amerikanischen Freund in Budapest. Eine platonische Liebe. Wenn Adrian unruhig wird, wahrt er eine ungarische Tradition: Da es zu Zeiten des Kommunismus keine einschlägige Subkultur gab, spielte sich das Männertreiben in den bis zu 40 Grad warmen Heilquellen ab. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts huldigte ein Arzt namens Leopold Fleckes den „ausgezeichneten geräumigen Bädern“. Fremde, schrieb er, „können dort billig Quartier, Beköstigung sowie Befriedigung aller Lebensbedürfnisse finden“.

Das Jugendstil-Hotel Gellert hat den Glanz alter Tage verloren. Ausstattung und Service halten nicht mehr, was die „vier Sterne“ versprechen. Die Kellner beim Frühstück beispielsweise servieren den sabberseichten Kaffee derart trottelig, daß es schon fast wieder originell ist – wenn sie sich denn überhaupt bequemen, ihren Kollegenplausch zu unterbrechen.

Geblieben ist im Gellert nur das homoerotische Knistern; es gehört mit zu der Geschichte des Hauses, lieferte Stoff für Filme und Erzählungen – in dem mit bunten Mosaiksteinen gekachelten Kellerbad, über dessen Türbogen sich kleine Engel zart liebkosen, treffen sich heute noch Alte und Junge, Knackige und Mopsige, Unbekannte und Bekannte. Beispielsweise auch die deutsche Fernsehpersönlichkeit, die uns seit der Kindheit im Wohnzimmer begleitet hat: ein Mann mit mephistophelischem Mienenspiel und theatralisch geschulter Stimme. Beim Abendessen plaudert er über sein KPM- Porzellan und seine Freundin Inge Meysel. Nachmittags hat er sich noch, wie er selbst sagt, in Pasolini- Manier von einem jungen ungarischen Steinmetz mit blonder Löwenmähne rannehmen lassen. Er sagt das mit einem Beigeschmack der Einsamkeit. „Das ist die Szene“, sagt er, der Reiz nach Berührung und das Beben der Körper sei schnell, oft zu schnell, aber gerade das sei der Reiz. Und solche verwegenen Spiele der Lust könne sich ein Prominenter nur noch an Orten wie in Budapest leisten.

Im Gästebuch des Hotel Gellert stehen viele prominente Namen. Anthony Quinn, Richard Nixon und der König von Nepal. Nixon schrieb nach seinem Besuch in Budapest gar noch einen Brief an den damaligen Hotelmanager Eugene Pakozdy. „Nachdem wir nach New York zurückgekehrt sind“, heißt es, „möchte ich Ihnen sagen, wie wohl wir uns während unseres Aufenthaltes im Gellert gefühlt haben.“ Das war 1963. Gebaut wurde die einstige Nobelherberge zwischen 1911 und 1918. Früher befanden sich in dem vorderen Teil des Gebäudes schicke Gesellschaftsräume. Zeitgenössischen Presseartikeln zufolge glichen sie einem Ausstellungsraum für Kunstgewerbe. Dazu gehörte ein fliederfarbener Damensalon, ein Musiksaal im Empirestil, ein Schreib- und Lesesaal. Das Jugendstilmobiliar des Hotels zerbrach jedoch unter den Trümmern des Krieges, wurde später durch eine geschmacklose sozialistische und leider immer noch vorzufindende Einheitsdekoration ersetzt.

Das Hotel liegt am Fuße des Gellert-Berges. Während der fast 150 Jahre andauernden Türkenherrschaft (1541–1691) gab es hier nur ein offenes Schlammbad. Überlieferungen zufolge wurden in dem Bad entführte Jungfrauen in Schach gehalten – um dann in vornehme Harems gebracht zu werden.

Eigentlich jedoch war es das Bad des Volkes, das dort selbst kranke Pferde einschlammte. 1809 wurde es an einen Privatmann verkauft. Kurze Zeit später erschien der deutschsprachige „Neueste Wegweiser“. „Das männliche ist von dem weiblichen Geschlecht durch eine lange Bretterwand geschieden“, heißt es in dem Reiseführer, „doch ist noch Raum genug, um manch Schamhafte in Verlegenheit zu setzen.“

Mann und Frau trifft sich heute nur noch im Sprudelbad des Gellert-Hotels. Es ist eines der wenigen Räume, die in ihrem alten, ursprünglichen Pomp wiederhergestellt wurden. Es gleicht etwa einer überfluteten Einkaufspassage. Große Säulen am Beckenrand stützen putzige Balkons, eine Glaskuppel bildet den Himmel. Darunter schimmert das Wasser türkisblau. Ein paar Gäste schwimmen. Die Hausordnung hat ihnen blaue Plastikkappen verordnet, die wie Mülltüten aussehen und gar nicht so recht in das stilvolle Ambiente passen. Männer werfen im Vorbeigehen einen Blick durch die großen Fenster am Eingang des Beckens. Sie sind auf dem Weg ins Thermalbad, wo in der feuchten Wärme die Pilzkultur blüht, wo sich nackte Körper zusammenmannen, wo Westler mit Ostlern ins Geschäft kommen. Die Alligatoren sind auf der Lauer. Überall.

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