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Wegen der Inflation von Profi-Boxverbänden warten alle auf ein strenggläubiges Goldstück

Was waren das doch für glorreiche Zeiten, als die Boxwelt vielleicht nicht in Ordnung, aber immerhin überschaubar war. Die Gewichtsklassen ließen sich leicht an den Fingern zweier Hände abzählen, und in jeder Stufe gab es, man staune, einen einzigen, einsamen Weltmeister. Diese Idylle hatte zwar schon relativ frühzeitig ein Ende, als plötzlich zwei große Verbände auftraten, die WBA und die WBC, doch das war kaum zu vergleichen mit der heutigen Inflation von Gewichtsklassen und Verbänden. Jeder, der zwei Handschuhe mit einigem Geschick zu tragen vermag, ist auch schon Weltmeister.

Die Boxer selbst wissen ziemlich genau, was ihre WM-Gürtel wert sind. So erklärte der alte Kämpe Thomas Hearns, nachdem er Champion der Mini-Organisation WBO geworden war, das sei ja alles ganz schön, doch nun wolle er einen „richtigen Titel“ gewinnen. Geld verdienen läßt sich aber auch mit den falschen Titeln. Am besten wissen das die Manager und die mit ihnen verbandelten Fernsehanstalten, und so achten sie peinlichst darauf, daß ihre Goldesel auf keinen Fall gegeneinander antreten und so den munteren Geldfluß zum Erliegen bringen. Auch im Schwergewicht, der einzigen Klasse, die in den USA wirklich zählt, ist das Chaos ausgebrochen, und George Foreman trägt daran ein gerütteltes Maß Mitschuld. Als er im vergangenen November durch seinen Sieg gegen Michael Moorer die Titel der WBA und IBF gewann, zweifelte kaum jemand daran, wer der wahre Schwergewichtsweltmeister ist: Foreman, legitimer Nachfolger solch unumstrittener Champions wie Jack Dempsey, Joe Louis, Rocky Marciano, Muhammad Ali, Mike Tyson und nicht zuletzt seiner selbst. Aber mit der allen Regeln widersprechenden Entscheidung, die erste Titelverteidigung gegen einen in keiner Weltrangliste verzeichneten Nobody namens Axel Schulz zu bestreiten, brachte sich der 46jährige alsbald in Verruf, und das Meister-Roulette von Las Vegas konnte beginnen. Die WBA nahm Foreman den Titel ab und ließ in der Spielerstadt vor zwei Wochen die Herren Tucker und Seldon darum kämpfen, während kurioserweise in derselben Veranstaltung Larry Holmes vergeblich versuchte, gegen Oliver McCall zweitältester Schwergewichtschampion zu werden. Was Foreman von der Sache hält, machte er vor zwei Tagen deutlich: „Ich habe erst gestern erfahren, wer die beiden Kämpfe gewonnen hat.“

Mit Foreman, Seldon, McCall und WBO-Meister Riddick Bowe gibt es nun also vier Champs, doch keinem von ihnen wird wahre Anerkennung zuteil werden, solange Mike Tyson frei herumläuft. Der wird, obwohl er zum Zeitpunkt seiner Verurteilung längst ein abgeschlaffter Ex-Weltmeister war, derzeit zum Superhelden aufgebaut, beschäftigte sich aber nach seiner Haftentlassung vorwiegend damit, ein luxuriöses Anwesen in Las Vegas und geräumige Autos zu erwerben.

Aber wenn Tyson die angestrebte Pilgerfahrt nach Mekka erledigt hat, denkt er möglicherweise wieder ans Boxen, und dann wäre eigentlich ein Kampf gegen Foreman fällig, der jedem der beiden gut 50 Millionen Dollar einbringen könnte. Doch dieser Fight wird kaum zustande kommen, weil Tysons Manager der zwielichtige Don King ist, mit dem Foreman nichts mehr zu tun haben will, weil der ihn nach der Niederlage gegen Ali in Kinshasa schnöde hängen ließ. Außerdem stehen beide Boxer bei verschiedenen Fernsehsendern unter Vertrag – ein kaum zu überbrückendes Hindernis. So dürfte Foreman den letzten großen Zahltag zur Finanzierung der College-Ausbildung seiner neun Kinder wohl Ende des Jahres gegen Evander Holyfield, Riddick Bowe oder Michael Moorer absolvieren.

Mike Tyson muß darum keineswegs traurig sein. Der findige Don King wird schon einen Verband auftreiben, in dem sein strenggläubiges Juwel Weltmeister werden kann. Hier liegt, sollte der Vegas-Ausflug schiefgehen, auch die Chance auf einen deutschen Schwergewichtschampion: einfach einen Verband gründen und Schulz gegen Mario Schiesser – im Fachmagazin The Ring despektierlich als „Mario Scheisser“ geführt – antreten lassen.

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