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Echt papstlike

■ betr.: „Material für jede Form von Satire“, Interview mit Jutta Dit furth, taz vom 19. 4. 95

PostenhuberInnen gewinnen bei Bündnisgrünen – wie in der SPD schon länger – immer mehr Einfluß, weil Leute wie Jutta Ditfurth die mühsame Diskussion in den Parteien aufgeben. Sie gibt die Diskussion in der Öffentlichkeit nicht auf. Das ist gut.

Politisch wirksam werden ihre Beiträge, wenn sie mehr Leute veranlassen, Bündnisgrün zu wählen. Sonst zersplittert die Linke, was die regierende Rechte in Deutschland stärkt. Diese Rechte will die Gesellschaft, so weit es geht, entsolidarisieren; sie ist dabei, die Gesellschaft struturell zu verändern. Wer das stoppen will, muß parlamentarische Mehrheiten dagegen erkämpfen. Die Überzeugungskraft von Jutta Ditfurth wäre dabei hilfreich. Noch besser, wenn sie dabei mithelfen würde, soziale und ökologische Strategien und Projekte auszuarbeiten. Dietrich Jahn, Hannover

Nun wissen wir es ganz genau: Die Grünen sind kraß elitär und antisozial, dort gibt es rechtsextreme Strömungen, es wimmelt bei den Ökologen an Deutschnationalen, sie haben ein unterwürfiges Verhältnis zum Herrschaftsapparat, die Partei ist korrupt, und es wird ein schmutziger Deal mit den WählerInnen aufrechterhalten. Inhaltich sind wir für die Option für den Neubau von Atomkraftwerken und natürlich reformunfähig, und es geht uns nur um Posten. Tausende Kommunalparlamentarier sind froh, daß sie kostenlos kopieren können und tragen nur deshalb den Gesamtkurs von Joschka Fischer mit.

Als einer, der seit gut zehn Jahren kommunalpolitische Verantwortung für die Partei wahrnimmt, sich auch im Innenleben, wenigstens des saarländischen Landesverbandes, recht gut auskennt, kann ich Jutta Ditfurth nur bescheinigen, daß sie, wie man im Saarland so schön sagt, einen „Riß in der Schüssel hat“. Hätten Ditfurth, Ebermann und Trampert heute noch das Sagen, die Grünen würden sich als links-radikale, antikapitalistische, dogmatische Ein- Prozent-Splitterpartei im politischen Spektrum wiederfinden.

An Jutta Ditfurth läuft seit Jahren alles vorbei. Und was viel schlimmer ist, sie merkt es noch nicht einmal. Kurt Grünewald, Referent für

Öffentlichkeitsarbeit im Landes-

vorstand Bündnis 90/Grüne,

Saarbrücken

Völlig angemessen plaziert auf der Seite, die für jede Satire gut ist, präsentierte die taz eine Jutta Ditfurth, die einem jede nostalgische Anwandlung in bezug auf ihre Rolle bei den Grünen sofort austreibt: So schlimm war sie wirklich. Wenn sie tatsächlich selbst glaubt, was sie in bekannt demagogischer Manier an Einstellungen, Verfälschungen und Verschwörungstheorien ausbreitet, ist ihr Verhältnis zur Realität ähnlich gestört wie bei jenem Fahrzeuglenker, der im Autoradio eine Warnmeldung vor einem Geisterfahrer hört und völlig empört ausruft: „Wieso einer? Ich sehe Hunderte!“ Cem Özdemir, MdB,

Bündnis 90/ Grüne

[...] Meinst Du echt, daß Greenies, sobald sie Ämter einnehmen, eine solche Karriere gemacht haben, wie viele der anderen Dauerabgeordneten? Wie jene, die sich über diverse parteinahe Jugendorganisationen, Gewerkschaftsposten oder Kirchenämter innerhalb diverser, meist männlicher Seilschaften, hochgeschleimt haben in die regionale oder bundesweite Parteienpolitik? Bist Du überzeugt, daß gewählte grüne BerufspolitikerInnen den gleichen hautengen Lobby-Tango mit Wirtschafts-, Bank- und Gewerkschaftsbonzen tanzen, wie es offensichtliche Funktionäre der anderen Parteien tun? Ich finde, gerade in den volksnahen, kommunalpolitischen Bereich bringen die Grünen erfrischende Entlarvungen dieses korrupten Klüngelsumpfes unentwegt ein und bewegen was.

Mensch Jutta, daß sie eine Partei des Kleinbürgertums ist und zum Beispiel keine nennenswerte vernünftige, realpolitisch vielleicht umsetzbare Alternative zum monopolkapitalistischen Weltwirtschaftssystem hat, na, das ist eben momentan so. Frau, wer vertritt denn in dieser nivellierten Mittelstandsgesellschaft die Outlaws? Wer tritt dem entsolidarisierten, total TV- und konsumorientierten, todverdrängenden und „Alles ist machbar“ beziehungsweise „Ist mir doch scheißegal“ denkenden und handelnden Individuum entgegen? Für mich stehen die Grünen deutlich real und handelnd auf seiten der unsozial und ungerecht behandelten VerliererInnen in dieser Marktwirtschaft, zum Beispiel an der Seite der Bürger-Inis, wo den Filzbonzen der anderen mehr als Schweißausbrüche präsentiert werden. Angelika Wolf, Essen

Es ist sicherlich keine große intellektuelle Anstrengung, eine reformpolitische Partei wie Bündnis 90/ Die Grünen aus einer radikalen Weltanschauung heraus zu kritisieren, produziert doch jede Art von Revisionismus unschöne Widersprüche, Ungleichzeitigkeiten, sogar Rückschritte und ein biographisches Anpassungsvermögen, das sich leicht als „Altersreproduktion auf extrem hohem Niveau“ denunzieren läßt.

Leider beschränkt sich Ditfurth nicht darauf, konkrete Fehlleistungen grün-roter Landespolitik anzuführen. Allzu reizvoll ist es dagegen, ein Pandämonium aufzubauen, in dem sich extreme Widersprüche locker zusammenfügen lassen: Wie, beispielsweise, soll man es sich vorstellen, daß Antje Vollmer als „eine Deutschnationale mit pseudointellektuellem Sprachcode“ (letzterer soll ja nicht nur bei Vollmer vorkommen) über die „Sehnsucht und Triebkraft“ verfügt, „zum altliberalen Großbürgertum gehören zu dürfen“?

Selbst Antje Vollmer dürfte kaum in der Lage sein (als „Pseudointellektuelle“ erst recht nicht), die beiden einander todfeindlichen Strömungen der deutschen Geschichte, Liberalismus und Deutschnationalismus, gleichzeitig zu vertreten. Wenn Ditfurth beides zusammenfügt, macht sie sich entweder dümmer, als sie ist – oder sie kann es einfach nicht lassen (implizit) Verschwörungstheorien zu basteln. Daß sie dies geschickt und äußerst sublim tut, macht die Sache auch nicht besser. Martin Rath, Langenfeld/Rhld.

[...] Echt papstlike – vor allem trägt das zur Lösung der großen Existenzfragen genausoviel bei wie konservative Ignoranz. Peter Scheulen, Erlenbach

Welch ein Genuß bereitete mir das Lesen des Interviews mit Jutta Ditfurth, faßt sie doch erschreckend präzise den politischen Werteverlust der Grünen in wenige Worte zusammen, entlarvt die aufgedunsenen und gesättigten Statthalter der „parlamentarischen Demokratie“ mit der nötigen Ironie und der daraus resultierenden Bitterkeit, ohne dabei unsachlich zu werden.

Passender zum Interview hätte der Titel der taz von Seite 1 über Antje Vollmer an diesem Tag nicht sein können. Der bürgerlich-liberale Mainstream hat die Grünen nicht nur infiziert, sie sind ein Teil desselben geworden. Wer dies verneint, verschließt die Augen vor der Realität. [...] René Brünner,

Cottbus/Kolkwitz

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