piwik no script img

Schlußrunde des Krieges in Ruanda

■ Das Massaker in Kibeho ist Ergebnis eines aus der französischen Intervention entstandenen Konflikts

Berlin (taz) – Es herrscht wieder Krieg in Ruanda. Das Massaker von Kibeho war eine Bürgerkriegsschlacht mit Tausenden zivilen Opfern, aber mit militärischen Zielen. Auf der einen Seite standen die Soldaten der seit dem vergangenen Sommer in Ruanda herrschenden „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF). Auf der anderen Seite standen bewaffnete Milizionäre, Reste des im vergangenen Sommer größtenteils nach Zaire geflohenen alten ruandischen Regimes.

Das Lager Kibeho war das größte von mehreren Lagern, die französische Soldaten in ihrer ab 22. Juni 1994 geschaffenen „Schutzzone“ im Südwesten Ruandas eingericht hatten. Dorthin flüchteten sich damals Hunderttausende Menschen, die Angst vor der RPF hatten, nachdem diese gerade den Rest des Landes eingenommen hatte. Angst hatten sie vor allem, weil sie Rache für den vorausgegangenen Völkermord fürchteten, dem zuvor zwischen 500.000 und einer Million Menschen zum Opfer gefallen waren.

Die Lager Südwest-Ruandas galten der RPF und vielen Beobachten als Sammelpunkte von Unterstützern des alten Regimes, die sich einer Unterordnung unter die neuen Machthaber nach dem Abzug der Franzosen verweigern würden. Frankreich hatte zwar zunächst eine militärische Konfrontation zwischen der RPF und den im Lande verbliebenen geschlagenen Milizen verhindert – doch zugleich einen Stachel ins Fleisch der neuen Herren gesetzt. Die Lager in Südwest-Ruanda waren zusammen mit den Flüchtlingslagern in Zaire Kern einer Gegenmacht.

In Kibeho ist nun mit zehn Monaten Verspätung jene Racheschlacht geschehen, die ohne eine ausländische Intervention vermutlich ohnehin am Ende des ruandischen Krieges und Völkermordes gestanden hätte. Ein Ausufern der zu erwartenden Rache der Überlebenden an den auffindbaren Mördern war nach der Machtergreifung der RPF im Juli 1994 Hauptsorge der internationalen Gemeinschaft, die sich im vorausgegangenen Völkermord vornehm herausgehalten hatte. Nach dem Abzug der Franzosen am 22. August 1994 rückten UNO-Blauhelmsoldaten in Südwest-Ruanda ein. Die rund 2.000 UN-Soldaten sperrten zunächst die Grenze zu Zaire, um die vor der RPF fliehenden Lagerinsassen in Ruanda zu halten, und machten sich dann an die Aufgabe der „Vertrauensschaffung“: In Südwest-Ruanda installierte sich de facto eine Co-Verwaltung durch UNO und die hier vorsichtiger auftretende Regierung.

Doch das Ergebnis war keine Entspannung, sondern ein Einfrieren des Krieges. Immer wieder gingen zwar Menschen aus den Lagern in ihre Dörfer zurück, jedoch errangen die in den Lagern präsenten Hardliner des alten Regimes in dem Maße einen immer größeren Einfluß, wie kompromißwillige Flüchtlinge die Lager verließen. Besucher der Lager in den letzten Monaten berichteten von siegesgewissen Hutu-Kämpfern, die die zumeist aus Tutsi bestehenden RPF- Soldaten beschimpften. Daß immer wieder Überlebende des Völkermordes sich auch an Rückkehrern rächten, war ein weiterer Faktor des Mißtrauens. Die RPF ihrerseits begann, die UNO – die beim Völkermord niemanden geschützt, sondern ihre Blauhelme abgezogen hatte – wegen ihres Schutzes der Lager zu kritisieren.

Anfang letzter Woche beschloß die Regierung schließlich die Auflösung der Lager und entsandte Truppen, die die Lager umstellten und sich an die Fersen weiterziehender Flüchtlinge hefteten. Die bewaffnete Konfrontation hätte möglicherweise durch ein stärkeres Auftreten der Blauhelmsoldaten vermieden werden können – doch vermutlich war beiden Seiten daran gelegen, eine weitere Runde des noch nicht entschiedenen Machtkampfes in Ruanda einzuläuten. Sein Ausmaß hängt davon ab, wie die beiden Seiten nun reagieren. Eine Eskalation wäre vor allem dann gegeben, wenn nun die in Zaire aufrüstenden ruandischen Hutu-Milizen die Grenze überqueren, um den Kampf gegen die RPF aufzunehmen. Dominic Johnson

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen