piwik no script img

Es gibt keinen Kriegssieger und keinen Unterlegenen

Morgen vor einem Jahr begannen Südafrikas erste allgemeine Wahlen – Krönung der Demokratisierung. Über die Kultur des Umbruchs  ■ Interview mit Allister Sparks

Herr Sparks, Ihr Buch „Morgen ist ein anderes Land“ steht seit Monaten auf der südafrikanischen Bestsellerliste, zusammen mit Nelson Mandelas Autobiographie. Sie enthüllen darin Sensationelles über die Geheimverhandlungen, die seit November 1985 zwischen der südafrikanischen Regierung und dem ANC stattfanden. Worin liegt die Bedeutung dieser Verhandlungen?

Allister Sparks: Das Ganze liest sich wie ein Spionageroman à la John le Carre. Da kamen ANC- Führer, die zu Hause steckbrieflich gesucht wurden, unter falschem Namen in die Schweiz, trafen sich in Hotels mit südafrikanischen Geheimdienstleuten, die sie eigentlich jederzeit hätten verhaften müssen. Der Geheimdienst selbst hat den ANC-Leuten falsche Pässe ausgestellt. Viermal trafen sich Leute des „National Intelligence Service“ in einem Hotel in Luzern mit Thabo Mebki, heute Vizepräsident in der Regierung der Nationalen Einheit. Das war für die Geheimdienstler eine delikate Operation, denn offiziell galt jeder, der sich im Ausland mit dem ANC traf, als Verräter.

Warum erzählt Nelson Mandela in seiner Autobiographie nicht von dieser Geheimdiplomatie, die ja durch ein Treffen zwischen Mandela und dem damaligen Justizminister Jacobus Coetzee in Gang gesetzt wurde?

Mandela erzählt seine Lebensgeschichte. Dabei erwähnt er auch das Treffen mit dem Justizminister, das in einem Gefängnishospital stattfand, wo sich Mandela von einer Operation erholte. Mandela streift aber nur kurz über diese Ereignisse hinweg. Ihm geht es nicht um eine Analyse des Übergangsprozesses. Deshalb verkauft sich mein Buch so gut neben Nelson Mandelas Autobiographie: Ich gebe in Großaufnahmen eine Analyse des Wandels in Südafrika, immer unter der Fragestellung: Wie und warum hat sich dieses Land verändert? Die beiden Bücher ergänzen einander hervorragend.

Wie sind Sie Ihrer Enthüllungsgeschichte auf die Spur gekommen?

Die meisten Leute glauben immer noch, daß der Demokratisierungsprozeß in Südafrika am 2. Februar 1990 begann, als der damalige Präsident Frederik Willem de Klerk seine berühmte Rede zur Parlamentseröffnung hielt, weitreichende Reformen ankündigte und den ANC legalisierte. De Klerk sonnt sich auch gerne in der Darstellung, er sei der alleinige Vater des friedlichen Übergangs in Südafrika.

Bei meinen Interviews mit Mandela bemerkte ich immer wieder, wie ihn de Klerks Selbstherrlichkeit wurmte. Einmal sagte er zu de Klerk: „Warum hören Sie nicht auf zu behaupten, Sie hätten diesen Prozeß 1990 begonnen. Alles hat doch schon sehr viel früher angefangen!“ Das machte mich hellhörig. Ich fragte nach, und Mandela erzählte mir von den vielen Geheimtreffen – insgesamt waren es 47. Die hatte er minutiös aufgezeichnet. Er las mir seine Notizen vor, und daraus entstand ein Tonband von neun Stunden Länge.

Warum sind Sie erst im Herbst 1994 mit der Geschichte herausgekommen?

Mein Buch behandelt die Periode bis zu den ersten freien Wahlen im April 1994. Es hat dabei immer wieder äußerst kritische Momente gegeben, in denen alles zusammenzubrechen drohte, noch bis Wochen vor dem Wahltag selbst. Da gab es die große Schlacht von Bophutatswana, wo der weißen Rechten mit der Inkatha, Teilen der Homeland-Armee und rebellischen Elementen in der südafrikanischen Armee fast ein Militärputsch gelungen wäre. Da wurde es sehr gefährlich, fast wäre alles entgleist. Meine Geschichte wäre also unvollständig, wenn ich sie vor den Wahlen geschrieben hätte.

Welche Rolle haben im Demokratisierungsprozeß die sogenannten „weißen Liberalen“ gespielt? Hätten sie mehr gegen die Apartheid tun können und sollen?

Es ist schwer zu verallgemeinern. Die weiße Opposition hat insofern viel erreicht, als sie die Entstehung einer einheitlichen weißen Lagermentalität verhinderte. Wir hatten Zeitungen, die die Mißstände der Apartheid anklagten, und die damit keine einheitliche Front entstehen ließen. Andererseits haben sich die Liberalen von den Verhandlungen ferngehalten. Sie haben sich der Apartheid verschlossen, aber sie haben sich nicht mit der logischen Alternative identifiziert, also der Herrschaft der schwarzen Mehrheit. Sie sind davor furchtsam zurückgeschreckt, denn dort findet man ja keinen schön geordneten westlichen Liberalismus.

Mandela hat über seinen Gegenspieler und Partner de Klerk eine Aussage gemacht, die er hinterher bedauerte: Er bezeichnete ihn als „man of integrity“, als integre Person. Wie beurteilen Sie de Klerks Rolle im Übergangsprozeß?

Ich habe alle Leute aus dem Umkreis de Klerks interviewt: seinen Bruder, seinen Pastor, die alten Partner aus seiner Anwaltskanzlei und alle, die ihn von klein auf kannten. Am Ende gelangte ich zu der Überzeugung, daß wir es mit einem sehr schlauen Politiker zu tun hatten, mit einem Mann, der verstanden hatte und den Mut hatte, zu erkennen, daß sich die Dinge ändern mußten.

Aber er trieb ein doppeltes Spiel. Seine Absicht – davon bin ich überzeugt – war es, den ANC zu destabilisieren und an die Wand zu spielen, so daß er selbst schließlich entweder an der Macht bleiben oder ein Arrangement herbeiführen könnte, das ihn zum gleichberechtigten Partner mit dem ANC machen würde. Er hat alles darangesetzt, dies zu erreichen, und ich glaube, daß Mandela in dieser Zeit von ihm enttäuscht war.

Dennoch haben die beiden zusammengearbeitet und tun dies noch heute. Und man muß de Klerk anrechnen, daß er weiter am Ball blieb, als sich herausstellte, daß seine Strategie nicht funktionierte. Er wußte, daß er die Dynamik nicht aufhalten konnte. Ohne seine Cleverneß hätte Südafrika in einer Katastrophe enden können.

„De Klerk wußte, daß er die Dynamik nicht aufhalten konnte“

Wußte de Klerk von den planmäßigen Morden an Oppositionellen in den 80er Jahren Bescheid?

Ich bezweifle das. Eine ganze Reihe von Leuten in der Regierung von de Klerks Vorgänger P.W. Botha, insbesondere Botha selbst, wußten von den Morden und den Aktivitäten der Todeskommandos. De Klerk gehörte aber niemals zu Bothas Küchenkabinett, er war niemals im inneren Kreis der Sicherheitsminister. Er und Botha verstanden sich nicht. Vielleicht wußte de Klerk etwas, aber nicht so direkt wie andere Minister wie Magnus Malan und Adriaan Vlok, die zum Staatssicherheitsrat gehörten.

Man sagt, der Wandel in Südafrika sei erst durch den „Broederbond“ ausgelöst worden, der Geheimorganisation der Buren.

Der Broederbond ist erst vor anderthalb Jahren aus dem Schatten seiner Geheimexistenz herausgetreten. Aus der Geheimorganisation der Burenelite wurde am Ende ein interessanter Think- Tank, der erkannte, daß die Apartheid nicht funktionierte, und aus dieser Sackgasse einen Ausweg finden wollte. Er hat sich offiziell aufgelöst, aber ob sich eine solche Organisation wirklich auflösen kann, ist eine andere Frage.

In Südafrika gibt es eine großartige Literatur. Welche Rolle hat sie bei der Abschaffung der Apartheid gespielt?

Worte sind sehr mächtig. Die Stimmen der Dissidenten, unserer südafrikanischen Pasternaks und Solschenizyns, haben Wind in die intellektuelle Atmosphäre unseres Lands gebracht. Das ist sehr wichtig. Und natürlich sind sie auch ein Beitrag zur Weltliteratur – in Augenblicken moralischer Krise kommt es häufig zu künstlerischen Höchstleistungen. Wir haben Athol Fugard und seine wunderbaren Theaterstücke; jetzt gibt es auch eine Generation junger afrikaans- sprachiger Schriftsteller wie Etienne van Hierden, der gerade ein wunderbares Buch namens Die Studmester herausgebracht hat – eine allegorische Geschichte des Kampfes des weißen Südafrika im Wandel. Ich glaube, manches, was von den jungen afrikaans-sprachigen Autoren hervorgebracht wird, entspricht qualitätsmäßig der jungen Literatur Lateinamerikas.

Nur im Kino haben wir völlig versagt. Südafrika hat keine vernünftigen Kinoflime hervorgebracht. Wahrscheinlich hängt das mit dem sehr schlechten Niveau unseres öffentlichen Rundfunks zusammen, der eine Art Kinderstube für Kinomacher ist.

Es bleibt die Frage, wie mit dem Erbe der Apartheid umgegangen werden soll – insbesondere mit den politischen Verbrechen. Dazu hat man eine „Wahrheitskommission“ gebildet. Sollen Ihrer Auffassung nach alle politischen Verbrechen gesühnt werden? Was halten Sie von den Forderungen nach Amnestie?

Die Wahrheitskommission ist sehr umstritten. Die alten Herrscher wollten sie natürlich nicht. Aber das Wesentliche an einer Wahrheitskommission scheint mir zu sein: Man kann nach einer friedlichen Verhandlungslösung zwischen zwei Parteien keine Nürnberger Prozesse machen. Es gibt hier keinen Kriegssieger, der einem Unterlegenen seinen Willen aufzwingen kann. Es mußte Leuten, die politische Verbrechen begangen haben, Straffreiheit gewährt werden – sonst hätte man nie einen Deal erreichen können.

„Es ist absolut notwendig, die Wahrheit herauszubekommen“

Es gibt aber Leute wie Barren Strydom, der in den Straßen Pretorias willkürlich neun Schwarze erschoß ...

Das ist ein besonders widerwärtiger Fall. Strydom bekam die Todesstrafe, aber man gewährte ihm Straffreiheit, weil er ein „politisch motiviertes Verbrechen“ begangen hatte. Solche Dinge gibt es leider immer wieder. Die Befürworter der Wahrheitskommission, zu denen ich gehöre, argumentieren: Es ist absolut notwendig, die Wahrheit herauszubekommen, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Man kann nicht Vergebung ohne Schuldbekenntnis haben. Und ohne Schuldbekenntnis und Vergebung kann es keine Aussöhnung geben. Die brauchen wir aber.

Sie behaupten immer wieder, die Südafrikaner seien Weltmeister im Verhandeln ...

Wir haben ein bemerkenswertes Expertenwissen entwickelt. Wir können nun auch Rat anbieten. Ich habe gerade mit der nordirischen Sinn Féin gesprochen, wir haben diplomatisch Streit in Lesotho geschlichtet und dazu beigetragen, in Mosambik ein Friedensabkommen zustande zu bringen. Und wir arbeiten auch an Angola – auch wenn es eine schwierige Aufgabe ist, Savimbi zu befrieden.

Sie bezeichnen Südafrika gern als „Labor der Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd“. Ist das nicht allzu optimistisch?

Ich bin von Natur aus Optimist. Ich versuche, dem weißen, reichen, hochentwickelten Norden klarzumachen, daß der Norden gegenüber der Dritten Welt dieselbe Position innehat wie die reichen weißen Südafrikaner gegenüber ihren Landsleuten. Die Welt ist eins. Jeder kann von der Erfahrung der Südafrikaner lernen. Wenn man den dunkelhäutigen Armen des Südens den Rücken zukehrt und einfach weiter in Luxus lebt, wie das die weißen Südafrikaner getan haben, wird einen dies einholen, so wie es uns eingeholt hat.

Fragen: Werner Bloch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen