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Hartnäckig für den Klassenkampf

■ 1,5 Millionen Franzosen wählten Trotzkistin Laguiller / Stimmenzuwachs auch für die KP nach Jahren des Abstiegs

Arlette Laguiller kämpfte noch, als die anderen Kandidaten am Sonntag abend längst versuchten, sich mit dem Verdikt der Wähler zu arrangieren. Kurz vor Mitternacht nutzte die Kandidatin der trotzkistischen „Lutte Ouvrière“ (Arbeiterkampf) ihr brillantes Wahlergebnis von 5,3 Prozent, um in den Wahlsendungen zur Gründung einer „großen Partei der Ausgeschlossenen“ aufzurufen. Eine richtige Klassenkampfpartei stellt sich Laguiller vor, die neben ihren 1,5 Millionen Wählern auch noch zahlreiche andere linke Franzosen anziehen soll.

Viermal ist die heute 55jährige Angestellte der Bank „Crédit Lyonnais“, die ihre politische Karriere auf den Barrikaden des Pariser Mai 68 begann, bei Präsidentschaftswahlen angetreten. Damit ist sie die hartnäckigste aller Kandidaten – noch vor Chirac. 1974 fing sie mit 2,33 Prozent an, 1981 – als Mitterrand erstmals Präsident wurde – schaffte sie 2,3 Prozent, und 1988 waren es 1,99 Prozent.

Laguiller ist ausdrücklich für „autoritäre und dirigistische“ Maßnahmen: Wer entläßt, soll enteignet, Bankkonten sollen offengelegt, die Spekulation soll verboten werden. Sie will Arbeiterkontrolle und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa einführen. Außer der Präsidentschaftskandidatin der Grünen, der ausgesprochen links stehende Dominique Voynet, die nur 3,3 Prozent der Stimmen bekam, bekämpfte Laguiller alle anderen Kontrahenten. Weil die Programme Chiracs, Balladurs und Jospins gegen die Arbeitslosigkeit in einer Umverteilung zugunsten der Bourgeoisie bestehen, will Laguiller nichts mit ihnen zu tun haben. Denselben Vorwurf macht sie, die sich als Trotzkistin frei von den historischen Erblasten der untergegangenen sozialistischen Regime Osteuropas fühlt, dem Kommunisten Robert Hue. Eine Wahlempfehlung für Jospin im zweiten Wahlgang lehnt Laguiller ab. – Kommunist Hue, der erst im vergangenen Jahr die Nachfolge des alten Kommunisten Georges Marchais angetreten hatte, führte einen Wahlkampf, der seiner Partei mit 8,6 Prozent der Stimmen nach langen Jahren des Abstiegs erstmals wieder einen kleinen Stimmenzuwachs verschaffte. Als erster Chef der größten verbliebenen kommunistischen Partei Europas verzichtet Hue auf die erste kommunistische Person Plural. Er sagt: „Ich meine“, wenn er Vorschläge macht, und er signalisiert dabei, daß er nicht bereit ist, das Votum aller Führungsgremien der KPF abzuwarten. Die Einladung Jospins mitten im Wahlkampf, kommunistische Minister in seine Regierung zu nehmen, lehnte Hue mit Hinweis auf das sozialistisch-kommunistische Debakel unter der ersten Mitterrand-Regierung ab. Doch am Sonntag abend signalisierte er bereits, daß er Jospin als Präsidenten empfehlen wird.

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