„Rundfunk am Scheideweg“: Werbung oder Kulturauftrag?

■ Der Rundfunkrat übt harsche Kritik an der geplanten Bremer „Melodiewelle“: „Verfassungsauftrag verstümmelt“

Maulkorb für betroffenen Redakteure, Ignorierung der höchst kompetenten Protestbriefe, und dann wird's schon klappen: nämlich die für den 1. September geplante Abschaffung von Radio Bremen 3 Klassik zugunsten einer Welle mit „deutsch-orientierter Musik", die "melodisch und erinnerungsträchtig, nicht aggressiv, zum Mitsingen und zum Mitswingen einladend" ist – so die Hausmittelung des Senders. So will man den HörerInnenkreis wieder heranziehen, der u.a. an auf die „Hansawelle“ abgewandert ist: die Alten, die nicht mochten, was die Mittelalten hören wollen. Der schnelle Sinneswandel von Programmdirektor Hermann Vinke ist dabei besonders beachtenswert. Noch im November 1994 hatte er gesagt, eine Fusion des 2. und 3. Programms sei „mit ihm nicht zu machen". Nun also doch: Die „Bremer Melodien" sollen das derzeitige Schema ersetzen.

Chef dieses Kulturereignisses soll u.a. Christian Berg werden. Proteste liegen vor vom Komponistenverband bis zum Zitherverein. Gegen dieses Unterlaufen des Kulturauftrages der öffentlich-rechtlichen Radioanstalten meldete sich gestern auch der Landesmusikrat zu Wort. Der stellvertretende Vorsitzende Horst Menzel, Wolfgang Schäfer als Mitglied des Rundfunkrates und Vorstandsmitglied Manfred Volz machten auf einer Pressekonferenz deutlich, daß ihr Ansatz nicht in Richtung „hohe, elitäre Kunst" gehe. Im Gegenteil: Die Thesen seien ohne eine einzige Gegenstimmen verabschiedet worden – der Landesmusikrat besteht aus immerhin 10.000 aktiven Mitgliedern aus allen Bereichen der Musik.

Das fundierte Thesenpapier des Rates wendet sich vor allem gegen die Funktionalisierung und Instrumentalisierung von Musik. Heute, erklärte Schäfer, gelten beim Sender wieder ähnliche Gesichtspunkte wie 1988, als das vierte Programm für die Jugend eingerichtet wurde: Frequenz besetzen und Werbung einfangen. Schäfer verwies dabei auf die Existenz von 58 Programmen der privaten Sender, die sich seit 1985 etabliert hätten. Es sei erschütternd, mit welcher Begründung der verfassungsrechtlich abgesicherte Kulturauftrag „verstümmelt" werde – nämlich die Unabhängigkeit von kommerziellem und politischem Einfluß. Die ohnehin vorhandene Zersplitterung der Gesellschaft werde dadurch noch weiter getrieben, immer neue Zielgruppen entdeckt und bedient. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, so Horst Menzel, dann „haben wir im Jahre 2005 1200 Programme".

Zur Zeit aber besäßen Radio Bremen 2 und 3 Klassik ein je eigenes und unverwechselbares Profil. Ein neues, schlüssiges Konzept für die Zusammenlegung liege hingegen nicht vor. Vor allem falle die intensive Betreuung der regionalen Szene weg. Der Landesmusikrat fragt außerdem, warum die HörerInnenverluste nicht auf der Hansawelle selbst behoben werden.

Gefordert wird deshalb die Aufgabe einer Ausdehnung, die nur den Zweck verfolgt, mehr Werbeeinnahmen zu bekommen: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht am Scheideweg. Zu diesem Zeitpunkt den Kulturauftrag und damit auch eine inhaltliche Selbstkontrolle aufzugeben, halten wir für falsch, wir müssen dagegenhalten." Was bei Wolfgang Schäfer so emphatisch rüberkommt – „besinnt euch auf den Auftrag" –, läßt allerdings fragen, warum dieser Auftrag so leicht zu umgehen ist. „Das Gesetz ist nicht präzis genug", heißt es da; die Landesverbände Bremen und Niedersachsen arbeiten derzeit an einem Kulturförderungsgesetz, das es in Sachsen interessanterweise schon gibt.

Es geht also hier wahrlich um größere Dimensionen als die Besitzstandswahrung der betroffenen RedakteurInnen. Auch, wenn besonders das 3. Programm erhebliche Kritik verdient. Hier hat sich der Anspruch, ein gutes E-Musik-Programm zu machen, in netten, unverbindlichen Plaudereien aufgelöst, und ein stringentes inhaltliches Konzept ist nicht auszumachen. Gerade diese Mängel haben es Herrn Vinke zu leicht gemacht. Ute Schalz-Laurenze