Soziale Umverteilung

■ betr.: „Material für jede Form von Satire“, taz vom 19. 4. 95

In einer Zeit, in der auch dem konservativsten Menschen klar werden müßte, daß der Kapitalismus nicht gesiegt hat, sondern lediglich übriggeblieben ist, tut eine Radikalkritik, wie sie Jutta Ditfurth vornimmt, erst einmal gut. Die Analyse stimmt, daß die ökologische Frage zwar von den Grünen mit Bravour auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde, aber eigentlich noch immer vollkommen losgelöst von der sozialen Frage und durchaus möglichem Antikapitalismus wahrgenommen wird.

Nun erwarte ich von einer stimmigen Analyse und von einer radikalen Abwehrhaltung nicht automatisch konstruktive Gegenvorschläge. Schließlich bekommen nur drängende FragerInnen und sich nicht einnebeln lassende AblehnerInnen auch irgendwann neue Antworten und neue Handlungs-Ideen. Allerdings legen gerade die von Jutta kritisierten Freiwirte beziehungsweise ZinskritikerInnen innerhalb der Bündnisgrünen ein antikapitalistisches Konzept vor, das sich gewaschen hat. Sowohl die ökologischen als auch die sozialen Krisen werden dort aus dem derzeitigen Geldsystem heraus erklärt: Danach verfügt unser derzeitiges Geld über einen Konstruktionsfehler. Es ist hortbar und deshalb in einem unsteten Kreislauf. Geld wird nur „freigegeben“, wenn es „angemessen verzinst“ wird. Dieser Zins steckt auch in den Preisen aller Waren und Dienstleistungen und führt über den endlos wachsenden Zinseszins-Effekt zu der bekannten Scherenentwicklung zwischen Arm und Reich.

Als Problemlösung schlagen die Freiwirte eine (strafende) Nutzungsgebühr auf das Tauschmittel Geld vor, die einen steten Geldkreislauf gewährleisten könnte (im Gegensatz zum derzeitigen Zins, der die Hortung belohnt). Eine zinsfreie Zweitwährung zur D-Mark wäre denkbar. Gekoppelt mit Regelungen gegen die Bodenspekulation (Gefahr der Flucht in das knappe Gut Boden) sowie mit den längst überfälligen Öko-Steuern könnte ein zinsfreies Geld sinnvolle Arbeitsplätze anstatt der Naturzerstörung finanzieren.

Nun bin ich nicht so naiv zu glauben, daß ein spekulationsfreies Geld- und Bodenrecht „von oben“ eingeführt wird. Dagegen sprechen massive Machtinteressen und mit Uneinsichtigkeit in die Brisanz des Zinzeszins-Effektes gepaarte Phantasie-Faulheit. Allerdings kommt die Veränderung zur Zeit schon „von unten“: Vor allem die vielerorts entstehenden Tausch- und Verrechnungsringe sowie die zinsablehnenden Leihgemeinschaften sind ein Ausdruck von Selbsthilfe. Obwohl sehr viele grüne Wahlprogramme inzwischen die Bodenrechtsforderungen der ZinskritikerInnen aufgenommen haben, bleiben der Zinseszins-Effekt und die damit wachsenden Schuldenberge noch immer undiskutiert. Treibhaus-Effekt und wachsende Müllberge sind dank der Grünen ins Bewußtsein der Allgemeinheit gerückt. Zinseszins-Effekt und wachsende Schuldenberge leider noch nicht. Und beides steht in der real existierenden Geldver(m)ehrungswirtschaft in einem direkten Bezug zueinander.

Historisch betrachtet muß man sich bei dem Zinsthema im übrigen mit der Kritik Proudhons an Marx beschäftigen sowie mit der Person Silvio Gesells. In Deutschland kommt auch und gerade die historische Belastung des Themas durch die Nazi-Parole von der sogenannten „Brechung der Zinsknechtschaft“, die eindeutig rassistisch geprägt war, hinzu. Die Tatsache, daß viele Freiwirte im Dritten Reich politisch verfolgt wurden, sollte vor der heutigen Einordnung als „rechte bis rechtsextreme Strömung“ (so Jutta Ditfurth) allerdings warnen. Indem Jutta die Freiwirte pauschal diffamiert (wie lassen sich denn die Freiwirte in der PDS erklären?), nützt sie eigentlich dem kapitalistischen System, das kein Interesse an einer Diskussion über den Zinseszins-Effekt hat. Arno Schelle, Fredelsloh