: Vor Gebrauch schütteln
■ Drehbuch-Gurus aus den USA werden eingeflogen / Ihre Seminare sollen dem Nachwuchs auf die Beine helfen
25.000 Drehbücher – Tendenz steigend – werden jährlich in den USA zum Copyright angemeldet. Die Traumfabriken verfilmen im Jahr um die hundert Bücher. Ihre Autoren kennt kaum jemand, geschweige die „Script-Doktoren“, Dramaturgen oder die namenlose Staffel weiterer Berater, Richter und Henker eines Filmstoffes. Ziel der in diesem Jahr mehrfach angebotenen Drehbuch-Seminare ist es, Autoren zu befähigen, ihre Geschichte in Form zu bringen.
Die deutschen Filmfürstentümer Berlin-Brandenburg, Hamburg, München und NRW übernehmen derzeit die Rolle eines Mäzens für deutschsprachige Autoren. Vorausgesetzt, diese haben schon mal ein Drehbuch geschrieben, sind der englischen Sprache mächtig und können selber noch etwa 2.000 Mark für ein Wochenseminar beisteuern. Linda Seger, promovierte Dramaturgin und Theologin, arbeitet mit Hilfe einer Karrierberaterin seit 1983 als freier „Drehbuch Consultant“ für amerikanische Studios und Produzenten. In ihrem bekanntesten Buch „Making a Good Script Great“ vermittelt sie Arbeitsmethoden. Die wichtigste Eigenschaft eines Filmautoren ist für Seger seine Bereitschaft, Änderungen am Drehbuch zuzulassen. Mit zwei ganztägigen Vorlesungen, einmal über ihre Theorie zum Aufbau eines Drehbuches und anderntags zur Praxis der amerikanischen Filmproduzenten bei der Auswahl von Drehbüchern, gab Linda Seger den Auftakt für ein längeres Seminar zur Ausbildung von Drehbuchberatern im kommenden Herbst. „Sollte das Experiment gelingen, werden Autoren und Produzenten in Zukunft auf deutschsprachige Berater bauen können, um ihre Projekte zur Produktionsreife zu bringen“, so die Metropolis Filmproduktion, die in Zusammenarbeit mit dem Filmboard Berlin- Brandenburg verschiedene Drehbuch-Workshops anbietet. Frank Daniel, einer der ältesten und begehrtesten, nennt sich Autor (für „Shop on Main Street“ erhielt er den Oskar), mit seinem Workshop-Unternehmen F.D.A. (Frank Daniel Associates) wirbt er für seine Seminarveranstaltungen in Europa. Er verzweifelt an der deutschen Art, eine Geschichte zu erzählen. Als Beispiel dient ihm die amerikanische Version der jüdischen Anekdote über Cohen und seine Ehefrau Sarah, die im Sterben liegt. „Cohen, ich muß dir etwas beichten.“ – „Reg dich nicht auf, Liebes.“ – „Cohen, ich muß es dir erzählen.“ – „Sei ruhig.“ –„Cohen, ich war dir untreu.“ – „Sei still.“ – „Cohen, ich habe dich mit deinen Freunden betrogen, ich habe mit jedem Mann im Dorf geschlafen.“ Darauf Cohen: „Sarah, warum glaubst du, habe ich dir wohl den Kaffee vergiftet.“
„Deutsche Autoren“, sagt Frank Daniel, „würden die Geschichte etwa so erzählen: In einem kleinen Dorf lebte Cohen mit seiner schönen Frau, die ihn mit jedem Mann betrog. Als ihr Gatte davon erfuhr, mischte er Gift in ihren Kaffee. Und als Sarah, seine Frau, dann im Sterben lag...“
„Vor Gebrauch einmal schütteln“, lehrt er seine Schüler, zu denen Milos Forman, Paul Schrader, David Lynch zählten. Filmdramaturgie studierte der gebürtige Tscheche Frank Daniel in Moskau unter Stalin. 1968 floh er mit 30 Kilo Gepäck aus Prag nach Los Angeles, wo ihm Gregory Peck, damals Vorsitzender des amerikanischen Film-Instituts für fortgeschrittene Filmstudien, eine Million Dollar überwies, um eine Drehbuchklasse aufzubauen.
Mit der Analyse von zehn berühmten Filmen verdeutlicht Inga Karetnikowa in ihrem Buch „How Scripts Are Made“, was und wie von den Meistern des Filmhandwerks gelernt werden kann. Aus Moskau emigrierte sie 1971 mit Hund, Mann und Sohn an die amerikanische Ostküste nach Boston. Sie konzipiert und leitet in Harvard und der Columbia-Universität Drehbuchklassen. Talente werden hier nicht geboren, sondern geschult.
Weder Inga Karetnikowa noch Frank Daniel beabsichtigen, die europäischen Studenten oder ihre Drehbücher zu „hollywoodisieren“. Eine Geschichte soll das Publikum aus Ost, West, Nord und Süd menschlich berühren.
Die sechs Teilnehmer einer Workshopklasse müssen ihre ausgewählte Drehbuchvorlage zum gegenseitigen Lesen untereinander austauschen. An jedem Tag wird ein anderes der vorgelegten Bücher besprochen: Die erste Frage lautet: „Was spricht dafür, 15 Mark auszugeben, um genau diesen Film zu sehen?“ Konkrete Projekte werden in kleinen Gruppen als erstes einer konstruktiven Kritik unterzogen. Sind sie der Beginn einer dramaturgischen Beratung, wie sie in Deutschland dringend gebraucht wird? Der Vergleich mit einer kosmetischen Behandlung liegt nahe: Sind die Augen strahlend, der Mund aber zu schmal, ändern wir die Haarfarbe und geben um die Augen Kajal. Ob Drehbuch oder Gesicht, in der Vorlage müssen menschliche Züge erkennbar sein, um daran arbeiten zu können.
Mit Unterstützung des Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH bietet die Metropolis Filmproduktion dieses Jahr noch eine Reihe von Veranstaltungen rund ums Drehbuch an. Oliver Schütte, Dramaturg und Drebuchautor, macht's auch auf deutsch: „Die Kunst des Drehbuchlesens“. Im September bieten Keith Cunningham und Tom Schlesinger einen viertägigen Intensivkurs: „The Screenwriter as Storyteller“. Dann kommt Frank Daniel noch einmal mit seiner Crew. Und im November haben 25 ausgewählte Teilnehmer erstmalig in Deutschland die Chance, sich von Linda Seger zum Drehbuchberater ausbilden zu lassen.
Den Aspiranten wird geraten, einen täglichen Job, der das Einkommen sichert, nicht aufzugeben. Frei von der Leber weg eine Geschichte so richtig lebendig erzählen, das kann mein Bruder. Er braucht keine Drehbuchseminare. Nur leider ist er nicht Autor, sondern Unternehmensberater geworden. Dagmar Scheibert
Informationen über die Veranstaltungen: Nikolai Hormeß, dffb: 30307268. Oder Rose-Marie Couture: 6932326
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