: Gebremste Erwartung
Beim amerikanisch-russischen Gipfel im Mai wird es kaum konkrete Ergebnisse geben ■ Aus New York Andreas Zumach
Zwei Wochen vor dem geplanten Treffen der Präsidenten Rußlands und der USA von 9. bis 11. Mai in Moskau bemühten sich die Außenminister beider Staaten, Andrej Kosyrew und Warren Christopher, diese Woche, Erwartungen auf konkrete Gipfelergebnisse herunterzuschrauben. Beide Seiten wollen vermeiden, daß ausgerechnet die Begegnung Clintons und Jelzins aus Anlaß der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland als gescheitert in die Annalen eingeht. Dabei scheinen die Differenzen eher größer als geringer zu werden.
Am Rande der New Yorker Verhandlungen über die Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags hatte Kosyrew Anfang der Woche in einem Interview die Pläne der USA für ein taktisches Raketenabwehrsystem erstmals scharf kritisiert und von einer möglichen Verletzung des Raketenabwehrvertrags ABM von 1972 gewarnt. US-Diplomaten interpretierten dies als Versuch, die Gegner einer Ratifizierung des Start- II-Vertrags im russischen Parlament zu beruhigen.
Zweiter Streitpunkt ist die Aufstellung einer „58. Armee-Einheit“ im Kaukasus ab 1. Juni, die Moskau am Dienstag ankündigte. Sie würde eine eindeutige Verletzung der Obergrenzen des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) bedeuten. Washington ist zwar grundsätzlich damit einverstanden, daß Rußland auf eigenem Territorium und im „benachbarten Ausland“ auch mit militärischen Mitteln für „Stabilität“ sorgt. Doch weiß die Clinton-Administration, daß nach Duldung einer Verletzung des KSE-Vertrages durch Rußland anderen Staaten auf dem Gebiet der Ex-Sowjetunion oder in Südosteuropa Vertragsverstöße schwerlich untersagt werden können. Zudem dürfte eine VKSE-Verletzung durch Moskau den Drang osteuropäischer Staaten in die Nato und damit den Handlungsdruck auf Washington weiter verstärken.
Nach Gesprächen mit Kosyrew am Mittwoch in Washington kündigte Christopher für den Moskauer Gipfel „wichtige Fortschritte“ beim Thema Nato-Erweiterung an. Worin diese Fortschritte liegen könnten, darüber wird auch in Washington inzwischen gerätselt. In Gesprächen seit dem Frühsommer 1994 hatten beide Außenministerien weitgehend Konsens erzielt über die Nato-Aufnahme Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik nach dem „französischen Modell“ — das heißt ohne Integration in die militärische Struktur und ohne die Stationierung von Atomwaffen oder von Truppen aus westlichen Nato-Ländern. Die Möglichkeit für den Beitritt weiterer osteuropäischer Staaten sowie Rußlands nach diesem Modell sollte ausdrücklich offengehalten werden. Entsprechende Entscheidungen würden, so hieß es aus Brüssel, mit Rücksicht auf Gegner einer Nato-Erweiterung in Moskau wie in Washington jedoch erst nach den Präsidentschaftswahlen in beiden Ländern im Herbst 1996 getroffen werden.
Nach Informationen russischer Diplomaten bewegten innenpolitische Gegner einer Nato-Erweiterung Präsident Jelzin Anfang des Jahres jedoch zu einer Kursänderung. Kosyrew wurde von Jelzin zurückgepfiffen und mußte bei seinem letzten Treffen mit Christopher Ende März in Genf frühere Positionen zur Nato-Erweiterung korrigieren.
Scharfe Reaktionen auf die Verletzung des KSE-Vertrags durch Moskau kamen gestern auch aus Bonn. Der abrüstungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, nannte die Gründung einer 58. Armee eine offene Provokation. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Rudolf Seiters, erklärte, die Moskauer Ankündigung werde die Gefahr der Isolierung Rußlands verstärken. Kritik kam auch von Bundesaußenminister Klaus Kinkel. Dieser kündigte jedoch zugleich an, zu Verhandlungen über eine vertragskonforme Lösung der Sicherheitsprobleme Rußlands bereit zu sein.
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